Weitere Entscheidung zu Botanicals – Health Claims bleiben eine rechtliche Risikofalle im Lebensmittel- und Nahrungsergänzungsmittelmarkt
Gesundheitsbezogene Angaben („Health Claims“) sind ein zentrales Marketinginstrument für Lebensmittel- und Nahrungsergänzungsmittelhersteller. Aussagen wie „unterstützt die Herzgesundheit“ oder „fördert die Gedächtnisleistung“ sollen Verbraucher überzeugen, ein Produkt zu kaufen. Doch diese Werbung ist streng reguliert: Die Health-Claims-Verordnung (HCVO, Verordnung (EG) Nr. 1924/2006) schreibt vor, dass solche Angaben wissenschaftlich belegt, von der EU-Kommission zugelassen und in einer Gemeinschaftsliste veröffentlicht sein müssen.
Seit Jahren gibt es jedoch eine Regelungslücke bei Botanicals, also pflanzlichen Inhaltsstoffen wie Safran, Melisse oder Ginseng. Viele Hersteller nutzen diesen Graubereich, um Produkte mit Versprechen wie „stärkt die Abwehrkräfte“ oder „reduziert Stresssymptome“ zu bewerben – obwohl die Europäische Kommission über diese Claims bislang nicht abschließend entschieden hat.
Mit seinem neuen Urteil „Botanicals II“ (I ZR 109/22) vom 5. Juni 2025 – veröffentlicht am 30. Juli 2025 – hat der Bundesgerichtshof (BGH) die Vorabentscheidung des EuGH aufgegriffen und nun für Klarheit gesorgt: Werbung mit nicht zugelassenen gesundheitsbezogenen Angaben für Botanicals bleibt verboten – auch während der laufenden EU-Prüfung.
Über die Vorabentscheidung des EuGH vom 30. April 2025 (C-386/23 „Novel Nutriology“) zur Bewerbung von Botanicals haben wir bereits berichtet (Neues vom EuGH zu Botanicals und ihrer Bewerbung).
Sachverhalt: Safran- und Melonensaft-Extrakte mit Anti-Stress-Versprechen
Im zugrunde liegenden Fall vertrieb die Beklagte ein Nahrungsergänzungsmittel mit dem Namen „Adapto-Genie ANTI-STRESS-KOMPLEX“. Auf ihrer Website bewarb sie das Produkt mit Aussagen wie:
- „stimmungsaufhellendes Safranextrakt“
- „77 % der Anwender verspürten nach zwei Wochen eine Verbesserung des emotionalen Gleichgewichts“
- „Melonensaft-Extrakt reduziert nachweislich Stressgefühle und Erschöpfung“
Der Verband Sozialer Wettbewerb e.V. hielt diese Aussagen für unzulässige Health Claims und klagte auf Unterlassung.
- LG Hamburg (Urteil vom 29. Juni 2021) und
- OLG Hamburg (Urteil vom 2. Juni 2022)
gaben dem Verband Recht und verboten der Beklagten die Werbung. Die Beklagte legte Revision ein und argumentierte, dass aufgrund der fehlenden EU-Zulassungsliste für Botanicals eine „Übergangsphase“ gelte, die solche Claims erlaube.
Rechtliche Erwägungen des BGH: Klare Absage an Werbung ohne Zulassung
Der BGH bestätigte die Urteile der Vorinstanzen und stellte in seinem Urteil vom 5. Juni 2025 (I ZR 109/22 „Botanicals II“) – unter Bezug auf diese Vorabentscheidung – folgende Kernaussagen auf:
- Anwendbarkeit der HCVO auf Botanicals
- Die Health-Claims-Verordnung gilt uneingeschränkt auch für pflanzliche Inhaltsstoffe („Botanicals“).
- Dass die EU-Kommission die Bewertung der Claims noch nicht abgeschlossen hat, befreit Unternehmen nicht von der Pflicht, nur zugelassene Angaben zu verwenden.
- Keine Werbeausnahmen während der „On-Hold“-Phase
- Für gesundheitsbezogene Angaben zu psychischen Funktionen (zum Beispiel Stressreduktion, emotionale Balance) gelten strenge Übergangsregelungen (Art. 28 HCVO).
- Diese erlauben die weitere Verwendung nur, wenn vor dem 19. Januar 2008 ein Zulassungsantrag gestellt wurde.
- Im vorliegenden Fall gab es keinen rechtzeitig gestellten Antrag – daher kein Schutz durch die Übergangsregelung.
- Verbot für spezifische und unspezifische Claims
- Spezifische Claims (Art. 10 Abs. 1 HCVO) wie „reduziert Erschöpfung“ sind ohne Zulassung verboten.
- Allgemeine, unspezifische Claims (Art. 10 Abs. 3 HCVO) wie „fördert das Wohlbefinden“ sind nur zulässig, wenn sie mit einem zugelassenen spezifischen Claim kombiniert werden – was hier nicht der Fall war.
- Wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsanspruch
- Verstöße gegen Art. 10 HCVO stellen einen Verstoß gegen Marktverhaltensregeln (§§ 3, 3a UWG) dar.
- Wettbewerbsverbände wie der Kläger können daher erfolgreich Unterlassung und Erstattung der Abmahnkosten verlangen.
Praktische Konsequenzen aus Botanicals II und Handlungsempfehlung für Unternehmen
Dieses Urteil hat erhebliche Auswirkungen für alle Hersteller und Händler von Nahrungsergänzungsmitteln mit pflanzlichen Inhaltsstoffen:
- Klare Werbebeschränkung: Auch während der offenen EU-Prüfung sind gesundheitsbezogene Angaben zu Botanicals verboten, wenn sie nicht zugelassen sind.
- Hohe Abmahngefahr: Wettbewerbsverbände und Mitbewerber können solche Verstöße kostenpflichtig abmahnen und gerichtlich untersagen lassen.
- Vermeidung von Bußgeldern und Imageschäden: Neben gerichtlichen Verboten drohen empfindliche Ordnungsgelder und ein erheblicher Reputationsverlust.
Empfehlung:
Unternehmen sollten ihre Produktwerbung und Online-Inhalte sofort überprüfen. Nicht zugelassene Health Claims für Botanicals müssen entfernt oder angepasst werden. Eine rechtliche Vorabprüfung durch AVANTCORE RECHTSANWÄLTE in Stuttgart als spezialisierte Kanzlei für Competition Law ist dringend anzuraten, um teure Abmahnungen und gerichtliche Verfahren zu vermeiden.