BGH zur früheren Arzneimittelpreisbindung – Kein Unterlassungsanspruch gegen ausländische Versandapotheken wegen Boni!
Wie hängt die Arzneimittelpreisbindung mit der EU zusammen?
Mit Urteil vom 17. Juli 2025 (Az. I ZR 74/24), zu dem bisher nur eine Pressemitteilung des Gerichts vorliegt, hat der Bundesgerichtshof (BGH) eine lange erwartete Entscheidung zur Arzneimittelpreisbindung verkündet. Im Zentrum stand die Frage, ob Versandapotheken mit Sitz in einem anderen EU-Mitgliedstaat an die deutschen Preisvorgaben bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln gebunden sind – insbesondere, wenn sie deutschen Patienten Boni oder Prämien gewähren.
Klartext des BGH: Die alte Arzneimittelpreisbindung nach § 78 AMG a.F. ist nicht anwendbar auf ausländische EU-Versandapotheken – wegen Verstoßes gegen die Warenverkehrsfreiheit nach Art. 34 AEUV.
Hintergrund des Falls
Ein bayerischer Apothekerverband klagte gegen eine niederländische Versandapotheke, die in den Jahren 2012 und 2013 Patienten beim Einlösen von Rezepten Bonuszahlungen in Höhe von bis zu 9 € pro Rezept anbot. Den Bonus erhielten die Patienten entweder als direkten Preisnachlass oder als Prämie für einen Arzneimittel-Check.
Der Verband hielt dies für wettbewerbswidrig, da solche Boni gegen die deutsche Arzneimittelpreisbindung verstießen. Vor dem LG München I und dem OLG München hatte er zunächst Erfolg – doch der BGH hob diese Entscheidungen nun auf.
Die Entscheidung im Detail
Der für das Wettbewerbsrecht zuständige I. Zivilsenat des BGH stellte zunächst klar:
Die Bonusgewährung hätte formal gegen die damaligen Preisbindungsvorschriften (§ 78 AMG a.F., AMPreisV) verstoßen.
Aber: Diese Vorschriften sind nicht anwendbar auf Versandapotheken mit Sitz in einem anderen EU-Mitgliedstaat, weil sie gegen Art. 34 AEUV (Verbot mengenmäßiger Einfuhrbeschränkungen) verstoßen.
Der BGH verweist dabei ausdrücklich auf die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache “Deutsche Parkinson Vereinigung” (Urt. v. 19.10.2016 – C-148/15). Darin hatte der EuGH festgestellt, dass die deutsche Preisbindung eine unzulässige Beschränkung des freien Warenverkehrs darstellt, sofern sie gegenüber ausländischen Apotheken Anwendung findet.
Auch im aktuellen Fall scheiterte der Kläger daran, empirisch nachzuweisen, dass die Preisbindung zur Sicherstellung einer flächendeckenden, sicheren Arzneimittelversorgung erforderlich war. Weder Studien noch Gutachten lieferten belastbare Belege für den fraglichen Zeitraum – ein Verstoß gegen Art. 34 AEUV liegt daher vor.
Rechtsfolgen
Das Urteil betrifft die bis 14. Dezember 2020 gültige Rechtslage (§ 78 AMG a.F.) zur Arzneimittelpreisbindung. Seitdem gilt die neue Regelung des § 129 Abs. 3 Satz 3 SGB V, eingeführt durch das Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz (VOASG).
Diese Vorschrift lautet:
„Apotheken, für die der Rahmenvertrag Rechtswirkungen hat, […] dürfen Versicherten keine Zuwendungen gewähren.“
Damit gilt für Versicherte der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) heute ein Boni-Verbot – allerdings bleibt offen, ob diese Regelung auch gegenüber Versandapotheken mit Sitz im EU-Ausland unionsrechtskonform ist.
Denn Art. 34 und 36 AEUV setzen weiterhin voraus, dass Einschränkungen des freien Warenverkehrs verhältnismäßig sind. Ob die neue Vorschrift des SGB V dieses Kriterium erfüllt – etwa durch belastbare Datengrundlagen zur Versorgungssicherheit – wurde bislang weder durch den EuGH noch den BGH geprüft.
Es bleibt also rechtlich offen, ob der neue § 129 Abs. 3 SGB V im grenzüberschreitenden Versandhandel mit Apotheken in der Europäischen Union Bestand haben würde. Wir werden die weitere Entwicklung in dieser Frage aufmerksam verfolgen.
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Hinweis:
Dieser Beitrag basiert auf der Pressemitteilung Nr. 134/2025 des Bundesgerichtshofs vom 17.07.2025. Die vollständige Urteilsbegründung steht noch aus.