Das OLG Köln hat nun mit Urteil vom 15.05.2025, Az. 18 U 97/23 klargestellt, unter welchen Voraussetzungen Zuschlagsverpflichtungen im Open-House-Verfahren bestehen, welche Grenzen die Geltendmachung von Naturalrestitution hat – und wann sich Schadensersatzansprüche auf entgangenen Gewinn reduzieren.

Zur Einordnung: Preisrechtliche Fallstricke in Open-House-Verfahren

Die Beschaffung wichtiger Schutzgüter wie FFP2-Masken im Pandemiekontext hat die öffentliche Hand gezwungen, in bislang ungekannten Dimensionen flexibel zu agieren. Besonders in den Fokus geraten ist dabei das sogenannte Open-House-Verfahren. Bei diesem Verfahrenstyp erfolgt keine wettbewerbliche Auswahl unter Anbietern, sondern jeder Bieter kann bei Erfüllung bestimmter Bedingungen einen Vertragsschluss verlangen. Doch auch in solchen Verfahren gelten strenge rechtliche Rahmenbedingungen – insbesondere das Preisrecht der Preisverordnung 30/53 (a.F.).

Das Open-House-Verfahren ist ein vergaberechtlich besonders ausgestaltetes Beschaffungsmodell, das primär für zeitkritische oder marktweit verfügbare Leistungen eingesetzt wird – etwa in der Pandemiebeschaffung oder im Arzneimittelbereich.

Im Unterschied zu klassischen Vergabeverfahren (zum Beispiel offene oder nicht offene Verfahren gemäß GWB und VgV) erfolgt keine wettbewerbliche Auswahl unter den Anbietern. Stattdessen veröffentlicht der öffentliche Auftraggeber allgemeine Vertragsbedingungen, feste Preise und Laufzeiten, zu denen sich beliebig viele Anbieter innerhalb einer bestimmten Frist anschließen können. Jeder Anbieter, der die Bedingungen erfüllt, erhält einen Zuschlag – es herrscht keine Auswahlentscheidung, sondern ein Automatismus.

Im juristischen Sinne handelt es sich oft um eine „invitatio ad offerendum“: Der Vertrag kommt erst zustande, wenn der Auftraggeber den Zuschlag ausdrücklich erteilt – trotz fehlender Auswahlentscheidung ist der Zuschlag rechtlich konstitutiv.

Typische Anwendungsfelder:

  • Arzneimittel-Rabattverträge (insb. Krankenkassen)
  • Pandemiebedingte Beschaffung (Masken, Schnelltests)
  • Versorgung mit Medizinprodukten in Engpasslagen

Rechtlich umstritten ist, ob das Verfahren vollständig vom Vergaberecht ausgenommen ist. Der EuGH (Urt. v. 02.06.2016, C-410/14 – Falk Pharma) hat entschieden, dass kein „öffentlicher Auftrag“ i.S.d. damaligen Richtlinie vorliegt – dennoch gelten Gleichbehandlungs- und Transparenzgebot sowie ggf. sektorspezifische Regeln weiter.

Das Preisrecht regelt wiederum die zulässige Preisbildung bei öffentlichen Aufträgen – insbesondere dann, wenn kein funktionsfähiger Wettbewerb besteht oder Preise nicht frei ausgehandelt werden können. Es soll Wucherpreise verhindern, den Fiskus schützen und eine faire Vergütung sicherstellen.

Rechtsgrundlagen des Preisrechts

Die zentrale Rechtsquelle für die Preisregulierung bei öffentlichen Aufträgen war bis zum 31.03.2022 die Verordnung PR Nr. 30/53 über die Preise bei öffentlichen Aufträgen („PreisV 30/53“). Seit dem 01.04.2022 ist sie in modifizierter Form weiterhin gültig.

Wesentliche Regelungen der PreisV 30/53 a.F.:

  • § 1 Abs. 1 PreisV 30/53 a.F.: Anwendung auf alle Liefer-, Dienst- und Bauleistungen gegenüber öffentlichen Auftraggebern.
  • § 1 Abs. 3 PreisV 30/53 a.F.: Preisvereinbarungen sind nichtig, soweit sie gegen die Verordnung verstoßen.
  • § 2 Abs. 2 PreisV 30/53 a.F.: Befreiung möglich bei Leistungen im Wettbewerb.
  • § 4 Abs. 1 PreisV 30/53 a.F.: Maßstab ist grundsätzlich der verkehrsübliche Preis – bei fehlendem Marktpreis greift § 5.
  • § 5 PreisV 30/53 a.F.: Preisermittlung auf Grundlage der Selbstkosten zuzüglich angemessenen Gewinns (sog. Selbstkostenpreis), wenn kein Marktpreis festgestellt werden kann.

Das OLG Köln stellte klar, dass diese Verordnung auch bei Open-House-Verfahren Anwendung findet, wenn nicht von einer Befreiung gem. § 2 Abs. 2 Gebrauch gemacht wurde. Der Auftraggeber kann das Preisrecht nicht durch bloße Wahl des Verfahrens umgehen.

Worum ging es in dem Fall genau? – Maskenlieferung, Zuschlagspflicht und nicht erfüllte Verträge

Open-House-Verfahren FFP2-Masken VergaberechtIm Frühjahr 2020 hatte die öffentliche Hand – hier konkret das Bundesgesundheitsministerium – ein Open-House-Verfahren zur Beschaffung von FFP2- und OP-Masken gestartet. Der Kläger reichte daraufhin mehrere Angebote ein, von denen zwei – betreffend u.a. 1 Mio. FFP2- und 5 Mio. OP-Masken – bezuschlagt wurden. Die übrigen (u.a. ein Angebot über 4 Mio. FFP2-Masken) blieben unbeantwortet. Der Kläger konnte die bezuschlagten Aufträge letztlich nicht erfüllen, beanspruchte jedoch Schadensersatz für das nicht bezuschlagte Angebot und verlangte Ersatz des entgangenen Gewinns in Höhe von über 12 Mio. €.

Das Landgericht Bonn wies die Klage ab. Im Berufungsverfahren verfolgte der Kläger seine Ansprüche auf Erfüllung bzw. hilfsweise auf Schadensersatz weiter.

Die Entscheidung des OLG Köln

a) Kein Kaufvertrag mangels Zuschlags 

Das OLG stellt klar: Ein Vertrag kommt im Open-House-Verfahren nicht bereits mit Angebotsabgabe zustande. Die Veröffentlichung der Bedingungen ist keine „offerta ad incertas personas“, sondern lediglich eine „invitatio ad offerendum“, also eine Aufforderung, Angebote abzugeben. Der Vertrag entsteht erst mit der ausdrücklichen Zuschlagserteilung. Auch ein Vertrag sui generis wurde abgelehnt.

b) Aber: Vorvertragliches Schuldverhältnis mit Leistungspflicht

Dennoch bejaht das Gericht ein vorvertragliches Schuldverhältnis gemäß § 311 Abs. 2 BGB. Aufgrund der öffentlich erklärten Verpflichtung, alle formal ordnungsgemäßen Angebote anzunehmen, bestand eine Pflicht zur Zuschlagserteilung. Dass diese unterlassen wurde, stellt eine Pflichtverletzung dar – auch, weil das Angebot über 4 Mio. FFP2-Masken form- und fristgerecht und inhaltlich vertragskonform war.

c) Kein Naturalersatzanspruch wegen Bereicherungsverbot

Besonders praxisrelevant: Das Gericht lehnt einen Anspruch auf Naturalrestitution (Lieferung gegen Zahlung) ab. Grund: Das schadensrechtliche Bereicherungsverbot gemäß § 249 BGB schließt aus, dass der Kläger nun – Jahre später – bei massiv gesunkenen Einkaufspreisen einen deutlich höheren Gewinn realisiert, als dies im April 2020 möglich gewesen wäre. Der Kläger hätte so einen ungerechtfertigten Vorteil aus der Pflichtverletzung gezogen.

d) Nur Ersatz des entgangenen Gewinns – begrenzt durch PreisV 30/53 a.F.

Der Kläger erhält stattdessen Schadensersatz in Höhe des entgangenen Gewinns. Dabei legt das Gericht nicht den vereinbarten (preisrechtswidrigen) Betrag von 4,50 €/Maske zugrunde, sondern einen zulässigen Preis i.H.v. 1,3545 € (ermittelt aus Selbstkostenpreis zzgl. 5 % Gewinnzuschlag gemäß § 5 PreisV 30/53 a.F.). Der daraus resultierende Gewinn beträgt lediglich 0,0645 €/Maske – bei 4 Mio. Masken also 258.000 €.

Bedeutung der Entscheidung für Auftraggeber und Bieter

Diese Entscheidung hat erhebliche praktische Auswirkungen auf die Gestaltung und Durchführung von Open-House-Verfahren sowie auf den Umgang mit Preisvorgaben:

Für öffentliche Auftraggeber:

  • Auch im Open-House-Verfahren bleibt das Preisrecht anwendbar – die Wahl des Verfahrens entbindet nicht von der Beachtung der PreisV 30/53 a.F.
  • Bei Verstößen drohen Schadensersatzansprüche, selbst wenn kein Zuschlag erteilt wurde.
  • Die Möglichkeit zur Teilnichtigkeit von Verträgen (§ 1 Abs. 3 PreisV) ist aktiv zu prüfen und kann im Prozess vorteilhaft sein.

Für Anbieter:

  • Unklare oder doppelte Angebotsabgaben können zu Missverständnissen führen – professionell strukturierte Kommunikation ist entscheidend.
  • Schadensersatz bei fehlendem Zuschlag kann realistisch nur auf entgangenen Gewinn gerichtet sein – und dieser unterliegt preisrechtlicher Begrenzung.
  • Lieferfähigkeit muss plausibel dargelegt werden – der Vortrag muss konkrete Einkaufsoptionen belegen.

Unsere Empfehlung

Wir empfehlen öffentlichen Auftraggebern eine präzise und rechtlich belastbare Ausgestaltung von Open-House-Verfahren mit klaren Zuschlagsregeln und Prüfung der Preisvorgaben auf PreisV-Konformität. Eine umfassende Dokumentation der Zuschlagsentscheidungen sichert Vergabeverfahren rechtlich ab.

Anbieter öffentlicher Aufträge sollten vor Angebotsabgabe prüfen, ob ihre Kalkulationen dem öffentlichen Preisrecht standhalten. Ein Zuschlag kann zwar einklagbar sein – der wirtschaftliche Ertrag jedoch durch das Preisrecht drastisch reduziert werden.

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