Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 17. April 2025 (Az. 6 U 310/24) stärkt das Prinzip der prozessualen Waffengleichheit und setzt klare Grenzen bei der Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen im Wettbewerbsrecht.
Der Ausgangspunkt: Abmahnung gegen spanischen Hersteller
Der Streitfall begann mit einer Abmahnung durch einen deutschen Wettbewerbsverband. Dieser forderte ein spanisches Unternehmen auf, bestimmte gesundheitsbezogene Werbeaussagen zu unterlassen und seine Produktkennzeichnung anzupassen. Die Antragsgegnerin ist im Bereich diätetischer Lebensmittel für medizinische Zwecke tätig. Die Abmahnung erfolgte am 13. Juni 2024 mit Fristsetzung bis zum 20. Juni.
Der umstrittene Eilantrag: Reaktion ignoriert, Verfügung beantragt
Trotz fristgerechter Reaktion der Antragsgegnerin – per E-Mail am 20. und erneut am 28. Juni sowie am 5. Juli – stellte der Antragsteller am 4. Juli einen Antrag auf einstweilige Verfügung und behauptete, es habe keine Antwort gegeben. Das Landgericht Frankfurt erließ am 8. Juli die begehrte Verfügung, die dem Antragsteller am 9. Juli zuging.
Was sollte die einstweilige Verfügung untersagen?
Gegenstand der begehrten einstweiligen Verfügung war ein umfassendes Verbot des Vertriebs und der Werbung mehrerer diätetischer Produkte wie „DAOfood“, „DAOfood Plus“, „DAOhead“ oder „fibroDAO“. Diese sollten laut Antragsteller nicht mehr als Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke mit der Zweckbestimmung „zum Diätmanagement bei DAO-Mangel“ vermarktet werden dürfen. Zudem sollten zahlreiche gesundheitsbezogene Werbeaussagen, etwa zur Behandlung von Histaminintoleranz, Migräne oder Fibromyalgie, untersagt werden. Der Antragsteller sah darin Verstöße gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften und irreführende Werbung im Sinne des UWG.
Kommunikationspannen oder bewusste Täuschung?
Der Antragsteller korrigierte seine Angaben gegenüber dem Gericht erst am 10. Juli. Er erklärte, die E-Mails der Gegenseite seien im Spam- oder Papierkorb-Ordner gelandet oder fälschlich als „gelesen“ markiert worden. Die späte Reaktion habe kein Täuschungsversuch, sondern sei ein Versehen gewesen. Das überzeugte die Gerichte jedoch nicht.
Das Urteil des OLG Frankfurt: Rechtsmissbrauch ohne böse Absicht
Das OLG Frankfurt erkannte in dieser Vorgehensweise einen Rechtsmissbrauch, auch ohne Nachweis vorsätzlicher Täuschung. Entscheidend sei, dass der Antragsteller mit dem Weg der vorgerichtlichen Abmahnung freiwillig Verantwortung für ein faires Verfahren übernommen habe. Wer dem Gericht mitteilt, es habe keine Reaktion auf eine Abmahnung gegeben, müsse zuvor sicherstellen, dass er potenzielle Rückmeldungen auch tatsächlich empfängt und weiterleitet.
Prozessuale Waffengleichheit im Eilverfahren besonders schutzwürdig
Der Senat stellte klar: Die Möglichkeit, eine einstweilige Verfügung ohne Anhörung des Gegners zu erwirken, ist eine erhebliche prozessuale Abkürzung – und daher nur unter strikter Wahrung des Gebots fairen Verfahrens zulässig. Wer auf diesem Weg agiert, darf sich nicht darauf berufen, E-Mails „übersehen“ zu haben – insbesondere dann nicht, wenn diese vorab angekündigt, relevant und zu erwarten waren.
Keine generelle Pflicht zu Empfangsvorkehrungen – aber im Wettbewerbsrecht sehr wohl
Zwar besteht grundsätzlich keine Pflicht, E-Mail-Postfächer umfassend auf Reaktionen zu prüfen. Wer jedoch – wie hier – eine Frist zur Abgabe einer Unterlassungserklärung setzt und eine Verfügung plant, muss damit rechnen, dass Antworten eintreffen. Die Pflicht zur sorgfältigen Kontrolle – auch von Spam- oder Trash-Ordnern – ergibt sich dann aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB).
Kein Verlust des materiellen Anspruchs – aber des Titels
Das OLG machte deutlich, dass es nicht um die Frage geht, ob der Antragsteller überhaupt einen berechtigten Unterlassungsanspruch hatte. Entscheidend war allein die Art der Verfahrensführung. Die unredliche Vorgehensweise führte dazu, dass die erlassene einstweilige Verfügung aufgehoben wurde – der Anspruch kann aber im Hauptsacheverfahren weiterverfolgt werden.
Praxistipps für Unternehmen und Anspruchsteller
Das Urteil des OLG Frankfurt ist ein wichtiges Signal für alle Akteure im Wettbewerbsrecht. Wer Abmahnungen verschickt und einstweilige Verfügungen beantragt, muss die prozessualen Spielregeln genau einhalten, insbesondere im Hinblick auf die Informationsweitergabe an das Gericht.
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