Das Gewicht nicht verzehrbarer Wursthüllen und Wurstclips darf bei der Bestimmung der Füllmenge von vorverpackten Lebensmitteln nicht berücksichtigt werden. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig am 06.05.2025 entschieden.

Worum geht es?

Die Frage, ob das Gewicht nicht essbarer Wursthüllen und Wurstclipse bei der Bestimmung der Nettofüllmenge von vorverpackten Wurstwaren berücksichtigt werden darf, hat in den letzten Jahren zu einer intensiven rechtlichen Auseinandersetzung geführt. Hintergrund sind Marktüberwachungsmaßnahmen gegen Hersteller, die diese Bestandteile als Teil des Wurstprodukts in die Füllmenge einrechneten. Während das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) diese Praxis zunächst billigte, hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) diese Sicht nun klar verworfen, wobei bisher nur die Pressemitteilung des Gerichts vorliegt.

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Entscheidung des OVG NRW (Urteil vom 23. Mai 2024, Az. 4 A 779/23)

Das OVG NRW stellte sich auf den Standpunkt, dass Wursthüllen und Clipse, sofern sie handelsüblich zur Wurst gehörten, Teil des “Erzeugnisses” im Sinne des Fertigpackungsrechts seien und daher zur Füllmenge zählten. Seine wesentlichen Argumente:

  • Begriff des Erzeugnisses: Nach der Richtlinie 76/211/EWG und dem Mess- und Eichgesetz sei unter Füllmenge die tatsächliche Erzeugnismenge zu verstehen. Handelsübliche Umhüllungen wie nicht essbare Wursthüllen und Clipse seien Bestandteile der Ware, sofern sie als „handelbares Erzeugnis“ mitverkauft würden.
  • Berücksichtigung von Handelsbräuchen: Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 76/211/EWG verlange die Beachtung nationaler Handelsgepflogenheiten. Die Integration der Hüllen in die Nennfüllmenge sei daher zulässig.
  • Keine unmittelbare Änderung durch LMIV: Die Lebensmittelinformationsverordnung (LMIV) enthalte keine neue oder abweichende Definition der Nettofüllmenge. Vielmehr verweise sie auf bestehende Vorschriften wie die Fertigpackungsverordnung und das MessEG.
  • Weitergeltung der RFP: Die frühere Richtlinie zur Füllmengenprüfung (RFP), nach der Wursthüllen und Clipse zur Nettofüllmenge gezählt wurden, sei weiterhin relevant, jedenfalls zur Begriffsbestimmung.

Das OVG hob die Untersagungsverfügung auf, da aus seiner Sicht die gesetzlichen Voraussetzungen für ein Eingreifen nach § 50 Abs. 2 MessEG nicht vorlagen.

Gegenteilige Entscheidung des BVerwG (Urteil vom 6. Mai 2025, Az. 8 C 4.24) – nach der Pressemitteilung des Gerichts

Das Bundesverwaltungsgericht hat das OVG-Urteil aufgehoben und klargestellt:

  • Ausschluss nicht essbarer Bestandteile: Die Nettofüllmenge im Sinne von Art. 9 Abs. 1 lit. e) LMIV und den Vorschriften der Fertigpackungsverordnung umfasse ausschließlich das verzehrbare Lebensmittel, hier also das Wurstbrät. Nicht essbare Hüllen und Clipse seien Teil der Verpackung und nicht Teil des Lebensmittels.
  • Vorrang von Spezialregelungen: Die Fertigpackungsverordnung verweist auf die LMIV, deren Definition Vorrang genieße. Eine Bezugnahme auf frühere Verwaltungspraxis wie die RFP sei deshalb nicht zulässig.
  • Verbraucherschutz: Die Einbeziehung nicht verzehrbarer Bestandteile führe zu einer irreführenden Mengenangabe, die dem Zweck des Verbraucherschutzes zuwiderlaufe.
  • Verbindlichkeit der LMIV: Als unmittelbar geltende EU-Verordnung setze die LMIV die maßgeblichen Standards. Das BVerwG verweist auf den klaren Wortlaut und Sinngehalt des Begriffs “Nettofüllmenge”, der sich auf das tatsächlich essbare Lebensmittel beziehe.
Bewertung der Rechtslage

Mit dem Urteil des BVerwG ist nun höchstrichterlich geklärt, dass nicht essbare Hüllen und Clipse bei der Füllmengenermittlung auszutarieren sind. Die gegenteilige Auffassung des OVG NRW, die auf einem weiten Verständnis des Begriffs “Erzeugnis” basierte, ist damit überholt. Die Einbeziehung dieser Bestandteile in die Nettofüllmenge verstößt gegen die unionsrechtlich vorgegebenen Verbraucherschutzstandards und kann zur Untersagung des Inverkehrbringens führen.

Handlungsempfehlungen für betroffene Unternehmen

1. Austarierungspflicht prüfen und umsetzen: Hersteller sollten unverzüglich sicherstellen, dass nicht essbare Bestandteile wie synthetische Wursthüllen und metallene Clipse nicht in die Füllmengenangabe einbezogen werden.

2. Produktionsprozesse anpassen: Die Eichung der Waagen sowie die Abfüllprozesse sind entsprechend anzupassen, sodass ausschließlich das verzehrbare Produktgewicht in die Nettofüllmenge einfließt.

3. Etikettierung aktualisieren: Die Verpackungsangaben sollten überprüft werden, insbesondere bei der Deklaration nach Art. 9 Abs. 1 lit. e) LMIV. Wo nötig, sind zusätzliche Hinweise auf nicht essbare Bestandteile gemäß Anhang VI Teil C der LMIV anzubringen.

4. Rechts- und Produktsicherheit dokumentieren: Unternehmen sollten die Einhaltung der Füllmengenregelungen dokumentieren und im Rahmen von Marktüberwachungsmaßnahmen rechtssicher nachweisen können.

5. Verträge mit Handelspartnern anpassen: Preis- und Liefervereinbarungen, die sich an Füllmengen orientieren, müssen unter Umständen neu kalkuliert und angepasst werden.

Für eine individuelle Beratung zur Umstellung Ihrer Produktkennzeichnung und Produktionsprozesse oder zur Begleitung von Marktüberwachungsverfahren stehen die Rechtsanwälte von AVANTCORE Rechtsanwälte in Stuttgart gerne zur Verfügung.