Es ist unionsrechtlich bisher ungeklärt, ob der Begriff „Kosten“ auch die Preisgabe von Daten umfasst und ob Werbung mit kostenlos für eine Leistung zulässig ist, wenn Nutzer mit Daten bezahlen.
Die Frage, ob ein digitaler Dienst zulässigerweise Werbung mit kostenlos betreiben darf, obwohl Nutzer ihre personenbezogenen Daten preisgeben und einer kommerziellen Nutzung zustimmen müssen, beschäftigt nun den Europäischen Gerichtshof (EuGH).
With Beschluss vom 25. September 2025 (Az. I ZR 11/20) hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden, ein Verfahren im Streit zwischen einem Verbraucherverband and Facebook (Meta Platforms) auszusetzen und dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen. Der Ausgang des Verfahrens könnte grundlegend bestimmen, ob und wann digitale „Gratis-Angebote“ tatsächlich unlauter im Sinne des Wettbewerbsrechts sind.
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Rechtlicher Hintergrund: Die Grenzen der Werbung mit kostenlos
Zentral ist die Frage, wie der Begriff „Kosten“ in Nr. 20 des Anhangs I zur Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken (UGP-Richtlinie) auszulegen ist.
Nach dieser Vorschrift ist die Werbung mit Begriffen wie „gratis“, „kostenlos“ oder „umsonst“ unter allen Umständen unzulässig, wenn der Verbraucher gleichwohl Kosten zu tragen hat.
Die Regelung ist in deutsches Recht umgesetzt durch Nr. 20 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG („unwahre Bewerbung als kostenlos“).
Während diese Vorschrift ursprünglich auf versteckte Geldzahlungen abzielte, stellt sich im Zeitalter datenbasierter Geschäftsmodelle, für die Werbung mit kostenlos oft selbstverständlich ist, die Frage, ob auch die Preisgabe personenbezogener Daten als eine Gegenleistung – und damit als „Kosten“ – anzusehen ist.
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Der Streitfall: „Facebook ist und bleibt kostenlos“
Im Jahr 2015 hatte Facebook auf seiner Startseite die Aussage verwendet:
„Facebook ist und bleibt kostenlos.“
The Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) sah darin eine irreführende geschäftliche Handlung (§ 5 UWG).
Begründung: Die Nutzung der Plattform sei faktisch nicht kostenlos, weil die Nutzer Facebook ihre personenbezogenen Daten überließen, die das Unternehmen zu Werbe- und Analysezwecken verwertete – also mit wirtschaftlichem Wert.
Sowohl das Landgericht Berlin als auch das Kammergericht wiesen die Klage ab.
Sie argumentierten, ein durchschnittlich informierter Verbraucher verstehe den Begriff „kostenlos“ dahingehend, dass er kein Geld zahlen müsse – nicht aber, dass keinerlei immaterielle Beeinträchtigung, etwa durch Datennutzung, eintrete.
Damit sei die Aussage nicht irreführend.
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Die Vorlagefrage des BGH
Der BGH hielt diese Frage für unionsrechtlich ungeklärt und legte sie dem EuGH zur Auslegung vor.
Er möchte wissen, ob der Begriff „Kosten“ im Sinne von Nr. 20 Anhang I in Verbindung mit Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2005/29/EG auch die Preisgabe personenbezogener Daten und die Einwilligung in deren Nutzung zu kommerziellen Zwecken umfasst.
Nach Auffassung des Senats spricht durchaus einiges dafür, den Kostenbegriff weit auszulegen:
Teleologisch ziele die Richtlinie auf ein hohes Niveau des Verbraucherschutzes. „Gratis“-Werbung verfüge über eine erhebliche Anlockwirkung, die zu Täuschungen über den wirtschaftlichen Wert der Gegenleistung führen könne.- Systematisch spreche auch das europäische Vertragsrecht für eine Gleichstellung von Geldzahlungen und personenbezogenen Daten: So sieht Art. 3 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie (EU) 2019/770 ausdrücklich vor, dass auch dann ein Verbrauchervertrag vorliegt, wenn der Verbraucher personenbezogene Daten bereitstelltwhich zu anderen Zwecken als der Vertragserfüllung, etwa zu Werbezwecken, verarbeitet werden.
- Ökonomisch betrachtet haben personenbezogene Daten für Unternehmen einen Geldwert, da sie Grundlage für gezielte Werbung und Profilbildung sind. Die Datenüberlassung sei damit funktional einer Zahlung gleichzusetzen.
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Nationale Gerichte bislang restriktiv
Die deutschen Instanzgerichte hatten hinsichtlich der Werbung mit kostenlos bislang eine enge Auslegung vertreten:
Sie sahen in der Preisgabe personenbezogener Daten keine „Kosten“ im Sinne des UWG und folgten damit einem klassischen Vermögensbegriff.
Demnach erfordert „Kosten“ eine pekuniäre Belastung, also eine Minderung des Geldvermögens.
Diese Sichtweise spiegelt sich auch in jüngeren nationalen Entscheidungen wider – etwa im Urteil des OLG Stuttgart vom 23. September 2025 (6 UKl 2/25), über das wir bereits berichtet haben (Bezahlen mit Daten: Die Verbraucherschutzzentrale unterliegt vor dem OLG Stuttgart – “Lidl Plus” darf weiter kostenlos genannt werden).
Das Gericht verneinte eine Pflicht, bei datengestützten Vorteilsprogrammen (hier: „Lidl Plus“) einen Preis im Sinne des Fernabsatzrechts anzugeben, wenn die einzige „Gegenleistung“ des Verbrauchers in der Bereitstellung personenbezogener Daten besteht.
Das OLG stellte klar:
Der Begriff „Preis“ in Art. 246a § 1 Abs. 1 Nr. 5 EGBGB und der Verbraucherrechterichtlinie (2011/83/EU) beziehe sich ausschließlich auf Geldleistungen.
Die datenschutzrechtliche Informationspflicht werde durch die GDPR, nicht durch das Preisrecht, gewährleistet. Die streitgegenständliche Werbung mit kostenlos für Lidl Plus wurde deshalb nicht untersagt.
Damit wird deutlich: Während der BGH die unionsrechtliche Frage durchaus offen sieht, schließen die Instanzgerichte eine Gleichstellung von Daten und Geld bislang aus.
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Rechtliche Bedeutung und unionsrechtlicher Kontext
Mit der Vorlage setzt der BGH ein deutliches Signal, dass die Wirtschaftlichkeit personenbezogener Daten auch competition law nicht ignoriert werden kann.
Die Entscheidung des EuGH wird dabei über den konkreten Fall hinausreichen. Sollte der Gerichtshof den Begriff der „Kosten“ weit auslegen, hätte das für Werbung mit kostenlos weitreichende Konsequenzen:
- Unternehmen müssten ihre Werbung und Preisangaben anpassen, sobald Nutzerdaten für Werbezwecke verwertet werden.
- Gratisangebote im Internet – etwa Apps, Social-Media-Plattformen oder Bonusprogramme – könnten künftig als irreführend gelten, wenn sie die Datenverwendung nicht transparent als Gegenleistung kennzeichnen.
- Wettbewerbsrecht und Datenschutzrecht würden stärker verzahnt: Irreführende „Gratis“-Werbung könnte gleichzeitig einen Verstoß gegen die DSGVO darstellen.
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Bewertung und Praxishinweis
Bis zur Entscheidung des EuGH bleibt es bei einer Grauzone:
Nach geltender nationaler Rechtsprechung – einschließlich des OLG Stuttgart – ist die Werbung mit kostenlos zulässig, solange keine monetären Kosten entstehen and the Datenverarbeitung transparent erfolgt.
Unternehmen sollten jedoch bereits jetzt Vorsicht walten lassen:
- Transparente Kommunikation: Verbraucher müssen bei Werbung mit kostenlos klar erkennen können, dass ihre Daten kommerziell genutzt werden.
- Vermeidung von Irreführung: Begriffe wie „kostenlos“ oder „gratis“ sollten nur verwendet werden, wenn auch keine wirtschaftlich werthaltige Gegenleistung verlangt wird.
- Prüfung bestehender Werbematerialien: Insbesondere Apps, Online-Plattformen und Bonusprogramme sollten daraufhin geprüft werden, ob die Datennutzung ausreichend erläutert ist.
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Conclusion
Der BGH hat mit seiner Vorlage an den EuGH eine entscheidende Weichenstellung für das Wettbewerbsrecht der digitalen Wirtschaft vorgenommen.
Im Kern geht es um die Frage, ob das „Bezahlen mit Daten“ künftig als Gegenleistung im Sinne des Lauterkeitsrechts gilt – und ob Verbraucher durch die Werbung mit kostenlos in die Irre geführt werden können.
Die Antwort des EuGH wird bestimmen, wie Unternehmen digitale Geschäftsmodelle künftig bewerben dürfen – und ob der Satz „Facebook ist und bleibt kostenlos“ bald als rechtlich unzulässig gilt. Um hier immer auf der Höhe der aktuellen Rechtsprechung zu sein, empfehlen wir – nicht nur bei Werbung mit kostenlos – eine Prüfung Ihrer Marketing-Kampagnen durch die Experten von AVANTCORE Rechtsanwälte in Stuttgart. Unsere Kanzlei ist auf Data protection law and Competition Law spezialisiert.