Wenn Straßenbauarbeiten zur Existenzfrage werden – was Gewerbetreibende rechtlich wissen müssen

Straßenbauarbeiten Sperrung UnterlassungsverfügungStraßensanierungen sind für die Allgemeinheit notwendig, bedeuten für ansässige Gewerbebetriebe aber nicht selten gravierende wirtschaftliche Einschnitte. Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 18. Juni 2025 (Az. OVG 1 S 35/25) zeigt exemplarisch, unter welchen Voraussetzungen solche Eingriffe durch Straßenbauarbeiten hinzunehmen sind – selbst bei drohenden Umsatzeinbrüchen und Existenzgefährdung. Die Entscheidung ist richtungsweisend für Unternehmen, die auf eine gute Erreichbarkeit durch Kunden angewiesen sind und sich durch Bauarbeiten in ihrer wirtschaftlichen Basis bedroht sehen.

Rechtlicher Hintergrund: Eigentumsschutz, Straßenrecht und staatliche Eingriffe

Im Zentrum des Falls steht die Frage, ob ein gewerblicher Straßenanlieger verlangen kann, dass die öffentliche Hand Straßenbauarbeiten unterlässt oder verlegt, wenn dadurch seine wirtschaftliche Tätigkeit beeinträchtigt wird.

Maßgebliche rechtliche Grundlagen in diesem Fall waren:

  • Art. 14 Abs. 1 GG – Schutz des Eigentums, insbesondere des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs
  • § 22 Abs. 6 Satz 1 BbgStrG – Entschädigungsregelung bei erheblichen Beeinträchtigungen durch Straßenbau
  • § 45 Abs. 2 StVO / § 15 BbgStrG – Ermächtigungsgrundlagen für verkehrsrechtliche Anordnungen

Der Sachverhalt im Detail: Straßenbauarbeiten in drei Bauabschnitten, eine Zufahrt und massive wirtschaftliche Sorgen

Die Antragstellerin betreibt eine Freizeitanlage mit Gastronomie an der Landesstraße L 20 zwischen Velten und Pinnow im Land Brandenburg. Die Straßenbauverwaltung plante in diesem Bereich eine umfassende Fahrbahnsanierung in drei Bauabschnitten mit Vollsperrungen einzelner Streckenabschnitte – über einen Zeitraum von knapp vier Monaten (Mai bis September 2025).

Straßenbauarbeiten Sperrung UnterlassungNach Darstellung der Antragstellerin drohten durch die eingeschränkte Erreichbarkeit erhebliche Umsatzverluste bis zu 75 %, weil Gäste die entstehenden Umwege meiden würden. Sie berief sich auf eine existenzgefährdende Beeinträchtigung und begehrte im Wege der einstweiligen Anordnung die Untersagung der Maßnahmen – zumindest deren Verlegung in die Wintermonate oder eine Ausführung bei halbseitiger Befahrbarkeit.

Das Verwaltungsgericht Potsdam hatte diesem Anliegen zunächst entsprochen. Auf die Beschwerde der Behörde hin hob das Oberverwaltungsgericht den Beschluss jedoch auf und wies den Antrag ab.

Die rechtlichen Erwägungen des Gerichts

  1. Kein Rechtsanspruch auf uneingeschränkte Zufahrt

Das OVG stellt klar: Art. 14 GG schützt zwar den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, aber nicht im Sinne eines uneingeschränkten Zufahrtsrechts. Maßgeblich ist allein, ob der sogenannte „Kernbereich“ der Nutzung betroffen ist – also ob die angemessene Nutzung des Grundstücks grundsätzlich weiter möglich bleibt.

Im vorliegenden Fall war die Zufahrt aus einer Richtung durchgehend möglich – wenn auch mit Umwegen. Dies genügt, um den Kernbereich unangetastet zu lassen. Die Maßnahme ist daher kein Eingriff im Sinne des Eigentumsschutzes.

  1. Eingriffe unterhalb der „Opfergrenze“ sind zumutbar

Gewerbliche Anlieger sind mit dem Schicksal der angrenzenden Straße verbunden – Einschränkungen durch Unterhaltungsmaßnahmen gehören zum allgemeinen Lebensrisiko. Nur wenn die Schwelle zur Existenzgefährdung überschritten wird und keine Behelfsmaßnahmen greifen, kann nach § 22 Abs. 6 Satz 1 BbgStrG ein Anspruch auf Entschädigung bestehen. Ein Unterlassungsanspruch ergibt sich daraus nicht.

Das Gericht betont: Selbst eine substantiiert dargelegte Existenzgefährdung würde lediglich eine finanzielle Kompensation auslösen – kein Recht auf Verschiebung oder Modifikation der Maßnahme.

  1. Kein Ermessensfehler bei Planung und Durchführung der Baumaßnahmen

Die Einwendungen der Antragstellerin gegen den Zeitpunkt der Durchführung der Straßenbauarbeiten – etwa eine Verlegung in die Herbstmonate – überzeugten das Gericht nicht. Die technischen Anforderungen für Asphaltarbeiten (Temperatur, Niederschlagsfreiheit, Trocknung) erfordern eine Ausführung in den wärmeren Monaten. Das Gericht folgte der fachlichen Argumentation der Behörde, wonach unter 5 °C keine sichere Bauausführung gewährleistet sei.

Auch der Vorschlag einer halbseitigen Befahrbarkeit wurde verworfen: Die vorhandene Straßenbreite (unter sechs Meter) reiche nicht aus, um gleichzeitig sichere Arbeitsbedingungen und Verkehr zu ermöglichen. Das Risiko für Arbeiter und Verkehrsteilnehmer überwiege das wirtschaftliche Interesse der Antragstellerin.

  1. Keine ausreichende Kausalität zwischen Umsatzrückgang und Baumaßnahme

Zudem wies das Gericht darauf hin, dass selbst bei unterstellter Existenzgefährdung die Ursache in der Verkehrssperrung nicht hinreichend nachgewiesen sei. Kunden seien offenbar durchaus bereit, moderate Umwege in Kauf zu nehmen. Auch eine dauerhafte Abwanderung zur Konkurrenz sei nicht belegt worden. Der Umsatzrückgang könne daher nicht kausal auf die Baumaßnahme zurückgeführt werden.

Was bedeutet die Entscheidung für betroffene Unternehmen?

Für Gewerbetreibende mit straßenseitiger Lage hat das OVG Berlin-Brandenburg eine klare Linie gezogen:

  • Eingeschränkte Zufahrt allein begründet keinen Unterlassungsanspruch
  • Selbst wirtschaftliche Härten sind grundsätzlich hinzunehmen
  • Bei Existenzbedrohung kann ein Entschädigungsanspruch geltend gemacht werden – kein Baustopp
  • Bautechnische und arbeitsschutzrechtliche Anforderungen haben Vorrang vor privaten Interessen
  • Nur ein vollständiger Wegfall jeglicher Zufahrtsmöglichkeit kann im Einzelfall kritisch sein

So schützen Sie Ihr Unternehmen bei anstehenden Straßenbauarbeiten

Wenn auch Ihr Gewerbebetrieb durch geplante Straßenmaßnahmen betroffen ist:

  1. Frühzeitig informieren: Kontaktieren Sie die Behörde frühzeitig und fordern Sie Bauzeitenpläne und verkehrsrechtliche Anordnungen an.
  2. Wirtschaftliche Risiken dokumentieren: Halten Sie mögliche Umsatzrückgänge und Kundenverhalten konkret fest – als Grundlage für mögliche Entschädigungen.
  3. Prüfung auf Entschädigung: Lassen Sie durch einen Fachanwalt prüfen, ob die Voraussetzungen des § 22 Abs. 6 BbgStrG erfüllt sind.
  4. Baubegleitende Kommunikation: Bemühen Sie sich um transparente Kundenkommunikation, alternative Zufahrtslösungen oder digitale Buchungsmöglichkeiten.

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