Ein Nachbarwiderspruch gegen eine Baugenehmigung hat nur Aussicht auf Erfolg, wenn eigene Rechte der Nachbarn mit überwiegender Wahrscheinlichkeit verletzt sind.

Der Konflikt um die Nachbarrechte bei Großprojekten

Immer wieder kommt es in der Praxis vor, dass Nachbarn mit einem Nachbarwiderspruch gegen eine erteilte Baugenehmigung vorgehen. Besonders bei größeren Bauvorhaben – wie dem Neubau von Mehrfamilienhäusern – fürchten Anwohner eine Überlastung des Gebiets, Lärm, Verschattung oder unzumutbare Einsichtnahmemöglichkeiten. Doch welche Chancen haben Nachbarn tatsächlich, mit einem Widerspruch gegen eine Baugenehmigung erfolgreich zu sein?

The Verwaltungsgericht Schleswig (Beschluss vom 23.09.2025, Az. 2 B 13/25) hatte sich jüngst mit einem solchen Fall zu befassen. Nachbarn wollten den Neubau von drei Mehrfamilienhäusern mit insgesamt 36 Wohneinheiten und 72 Stellplätzen mit einem Nachbarwiderspruch stoppen. Ihr Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs wurde jedoch abgelehnt.

Darum ging es: Nachbarwiderspruch gegen drei Mehrfamilienhäuser und 72 Stellplätze

Die Bauaufsichtsbehörde hatte am 21. Juli 2025 die Baugenehmigung für drei Mehrfamilienhäuser erteilt. Die geplanten Gebäude sollten 36 Wohnungen sowie 72 Stellplätze umfassen. Die betroffenen Nachbarn legten Widerspruch ein und beantragten beim Verwaltungsgericht, die sofortige Vollziehung zu stoppen.

Ihre Argumente:

  • Verletzung der Abstandsflächen (§ 6 LBO)
  • Unverträglichkeit mit der Gebietsstruktur (Gebietserhaltungsanspruch)
  • Unzumutbare Einsichtmöglichkeiten von Balkonen auf ihr Grundstück
  • Erhöhte Verkehrs- und Lärmbelastung durch die große Zahl an Stellplätzen

Die Antragsteller sahen sich in ihren Nachbarrechten verletzt und wollten eine gerichtliche Klärung im Eilverfahren.

Die rechtliche Ausgangslage: Bauverwirklichungsinteresse überwiegt

Zentrale Grundlage des Verfahrens ist § 212a BauGB: Danach haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen eine Baugenehmigung keine aufschiebende Wirkung. Der Gesetzgeber hat damit dem Bauverwirklichungsinteresse bewusst den Vorrang eingeräumt.

Das Gericht kann nur dann ausnahmsweise die aufschiebende Wirkung anordnen, wenn mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine Verletzung nachbarschützender Normen vorliegt. Maßgeblich ist also nicht die objektive Rechtswidrigkeit der Genehmigung, sondern allein die Frage, ob die Nachbarn in ihren subjektiv-öffentlichen Nachbarrechten betroffen sind.

Abstandsflächen: Keine Verletzung erkennbar

Die Antragsteller hatten eine Unterschreitung der Abstandsflächen gerügt. Das Verwaltungsgericht stellte jedoch fest, dass die Abstandsflächen gewahrt seien. Weder die Bauvorlagen noch die Lagepläne ergaben Verstöße gegen § 6 LBO. Zudem sei die Frage der Abstandsflächen im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren (§ 63 LBO) ohnehin nicht Prüfungsgegenstand.

Zentrale Aussage: Ein Nachbar kann sich nur dann auf Abstandsflächen berufen, wenn diese konkret zu seinen Lasten verletzt werden. Das war hier nicht der Fall.

Gebietserhaltungsanspruch: Mehrfamilienhäuser sind „Wohnen“

Die Antragsteller verwiesen außerdem auf einen Gebietserhaltungsanspruch. Sie argumentierten, die geplanten Gebäude fügten sich nicht in die bestehende Umgebungsbebauung ein.

Das Gericht stellte klar: Die Baunutzungsverordnung (BauNVO) unterscheidet nicht zwischen Einfamilien-, Doppel- oder Mehrfamilienhäusern. Nutzungsart ist allein „Wohnen“. Mehrfamilienhäuser sind daher im allgemeinen Wohngebiet zulässig.

Zentrale Aussage: Nachbarn haben keinen Anspruch auf Erhaltung einer bestimmten Gebäudetypik (zum Beispiel nur Einfamilienhäuser).

Rücksichtnahmegebot: Keine unzumutbare Beeinträchtigung

Besonders ins Gewicht fiel das Vorbringen der Antragsteller zu Einsichtnahmemöglichkeiten. Sie befürchteten, von den Balkonen der Neubauten wie von einem „Beobachtungsturm“ überwacht zu werden.

Das Gericht lehnte dies ab. Einsichtmöglichkeiten gehören in innerörtlichen Bereichen zum Alltag und sind grundsätzlich hinzunehmen. Ein besonderer Schutz über die Abstandsflächen hinaus besteht nicht. Auch eine „Gefängnishofsituation“ oder „erdrückende Wirkung“ konnte das Gericht nicht erkennen. Die Gebäude hielten die Abstände ein, zudem verblieben Grünflächen und Bäume als Sichtschutz.

Zentrale Aussage: Das Rücksichtnahmegebot (§ 34 BauGB) ist erst verletzt, wenn die Situation für den Nachbarn unerträglich und unzumutbar wird. Das bloße Empfinden, stärker beobachtet zu werden, reicht nicht.

Stellplätze und Verkehr: Lärm ist hinzunehmen

The erhöhte Zahl von Stellplätzen führte nach Ansicht des Gerichts zu keiner Nachbarrechtsverletzung. Zwar steige das Verkehrsaufkommen erheblich, doch Parken und Fahrbewegungen gehören typischerweise zu einer Wohnnutzung und sind selbst in reinen Wohngebieten zulässig (§ 12 BauNVO).

Die geplante Lage der Zufahrten und die abschirmende Wirkung der Gebäude stellten sicher, dass keine unzumutbaren Lärmbelastungen auf das Nachbargrundstück einwirken.

Zentrale Aussage: Selbst eine deutliche Zunahme des Stellplatzverkehrs ist in Wohngebieten grundsätzlich zumutbar.

Fazit: Klare Stärkung des Bauherrninteresses

Nachbarwiderspruch BaugenehmigungDas Verwaltungsgericht Schleswig hat mit diesem Beschluss einmal mehr betont, dass Nachbarwidersprüche gegen Baugenehmigungen nur in Ausnahmefällen erfolgreich sind. Entscheidend ist, ob eine konkrete Verletzung nachbarschützender Normen vorliegt. Rein subjektive Nachteile – etwa Einsichtmöglichkeiten oder veränderte Gebietsprägung – genügen nicht.

Empfehlung für Nachbarn

Wer einen Nachbarwiderspruch in Betracht zieht, sollte frühzeitig prüfen, ob konkrete Verstöße gegen Abstandsflächen, das Rücksichtnahmegebot oder Gebietsunverträglichkeiten vorliegen. Bloße Unzufriedenheit mit der Nachverdichtung reicht nicht aus.

Empfehlung für Bauherren

Für Bauherren bedeutet die Entscheidung eine klare Bestätigung der Bausicherheit: Mit einer ordnungsgemäß erteilten Baugenehmigung kann regelmäßig trotz Nachbarwiderspruchs gebaut werden. Wichtig bleibt eine rechtskonforme Planung unter Einhaltung aller abstands- und planungsrechtlichen Vorgaben.

Wichtig ist für alle Beteiligte, dass die Genehmigungssituation für ein (größeres) Projekt juristisch realistisch eingeschätzt wird, um erfolgreich die eigene Position zu verteidigen oder ein bereits genehmigtes Projekt anzugreifen – zum Beispiel mit einem Nachbarwiderspruch. Dazu stehen die Experten für Administrative law von AVANTCORE RECHTSANWÄLTE in Stuttgart zur Verfügung.