Werbung mit Beauty Claims darf aus Verbrauchersicht auch im Gesamtkontext keine unerlaubten gesundheitsbezogenen Angaben enthalten.
I. Rechtlicher Ausgangspunkt – Zwischen schöner Haut und Körperfunktion
Der Bundesgerichtshof hatte zu entscheiden, wann Werbeaussagen zu „schöner Haut“ bei Nahrungsergänzungsmitteln den Tatbestand einer gesundheitsbezogenen Angabe im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Nr. 5, Art. 10 Abs. 1 der Health-Claims-Verordnung (VO (EG) 1924/2006) erfüllen – und damit nur zulässig sind, wenn sie von der EU-Kommission zugelassen und gelistet sind.
Der Streitfall zeigt exemplarisch, dass die Grenze zwischen ästhetischer Wirkung („Beauty Claim“) und funktionalem Gesundheitsbezug („Health Claim“) fließend ist. Entscheidend ist, ob der durchschnittliche Verbraucher die Aussage als Bezug auf eine Körperfunktion oder Gesundheitsverbesserung versteht.
Der BGH stellt dabei unmissverständlich klar:
„Versteht der Durchschnittsverbraucher eine Werbeaussage zugleich als gesundheitsbezogen, unterliegt sie der Health-Claims-Verordnung, auch wenn sie sich sprachlich als ‚Beauty Claim‘ geriert.“
Damit wird der Schutzbereich des Art. 10 Abs. 1 HCVO nicht durch kosmetische Begriffe unterlaufen – eine Entscheidung von erheblicher Tragweite für die gesamte Beauty-Food-Branche.
II. Der Fall – Kollagen-Drink und das Versprechen der „Schönheit von innen“
Eine Herstellerin von Kollagen-Trinkampullen bewarb ihr Produkt auf der Website mit Aussagen wie:
- „Für schöne Haut von innen“
- „Der Schlüssel zu schöner Haut liegt in den Hautstrukturen – 80 % der jungen und gesunden Haut bestehen aus Kollagen.“
- „Die Kollagenpeptide werden in die Haut transportiert und stehen dem normalen Kollagen-Stoffwechsel zur Verfügung.“
- „In klinischen Studien zeigte sich eine signifikante Verbesserung der Hautfeuchtigkeit, -elastizität, -rauigkeit und -dichte.“
Ein qualifizierter Verbraucherschutzverband mahnte diese Aussagen als unzulässige gesundheitsbezogene Angaben ab. Nachdem die Beklagte nur teilweise eine Unterlassungserklärung abgegeben hatte, erhob der Verband Klage vor dem LG Bochum (Urt. v. 9.5.2023 – I-18 O 20/22). Das LG gab der Klage vollumfänglich statt, das OLG Hamm (Urt. v. 27.6.2024 – I-4 U 114/23) bestätigte die Entscheidung.
Auf die Revision der Beklagten hob der BGH (Urt. v. 9.10.2025 – I ZR 135/24, „Kollagen-Trinkampullen“) das Berufungsurteil teilweise auf und wies die Klage in Bezug auf drei von sechs angegriffenen Aussagen ab.
III. Die rechtlichen Erwägungen des BGH – der Beauty Claim in der differenzierten Einzelfallprüfung
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Art. 10 Abs. 1 HCVO als Marktverhaltensregel (§ 3a UWG)
Der BGH bekräftigt, dass Art. 10 Abs. 1 HCVO eine Marktverhaltensregel im Sinne des § 3a UWG darstellt. Damit begründet ein Verstoß zugleich eine unlautere geschäftliche Handlung. Maßgeblich ist stets das Verständnis des normal informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers, im Gesamtzusammenhang der Werbung.
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Abgrenzung von Beauty Claim und Health Claim
Nicht jede Aussage über die Haut betrifft eine Körperfunktion. Aussagen über das äußere Erscheinungsbild (z. B. „schöne Haut“, „strahlender Teint“) können rein kosmetischer Natur sein.
Anders liegt es jedoch, wenn die Werbeaussage eine physiologische Wirkung auf Hautstrukturen, -prozesse oder Stoffwechselvorgänge suggeriert.
Der BGH betont:
„Entscheidend ist der situative Kontext der konkreten Verletzungsform; isolierte Betrachtungen einzelner Satzteile verbieten sich.“
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Drei unzulässige Aussagen im Detail
Der BGH untersagt die folgenden Passagen, weil sie jeweils einen Funktionsbezug herstellten:
- „Wichtige Hautstrukturen – 80 % der jungen und gesunden Haut bestehen aus Kollagen“
→ Verwendung des Begriffs „gesunde Haut“ stellt einen unmittelbaren Bezug zum Gesundheitszustand her. - „Transport in die Hautschichten … stehen dem normalen Kollagen-Stoffwechsel zur Verfügung“
→ Beschreibung des Kollagen-Stoffwechsels als physiologischer Prozess; Werbung suggeriert eine funktionale Wirkung des Produkts. - „Placebo-kontrollierte Studien zeigen signifikante Verbesserungen von Hautfeuchtigkeit, -elastizität, -rauigkeit und -dichte“
→ Bezugnahme auf medizinisch anmutende Funktionsparameter verleiht der Aussage den Charakter einer Gesundheitsbehauptung.
Damit konkretisiert der BGH die Linie seiner bisherigen Rechtsprechung (vgl. etwa BGH, Urt. v. 7.4.2016 – I ZR 81/15 – Repair-Kapseln) und stärkt die Bedeutung der Gesamtbetrachtung im Werbekontext.
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Keine eigenständige Kategorie „Beauty Claim“
Der Senat betont ausdrücklich, dass der Begriff des „Beauty Claim“ rechtlich nicht existiert.
Soweit eine Aussage vom Verbraucher zugleich als Hinweis auf eine Körperfunktion verstanden wird, greift Art. 10 HCVO – unabhängig davon, ob sie kosmetisch anmutet.
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Bezug zur Liste zugelassener Angaben (VO (EU) 432/2012)
Der BGH verweist darauf, dass die EU-Liste selbst Aussagen wie „trägt zur Erhaltung normaler Haut bei“ als gesundheitsbezogene Angabe führt. Für Kollagen existiert kein zugelassener Claim – daher dürfen auch inhaltlich gleichbedeutende Aussagen nicht verwendet werden.
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EFSA-Leitlinien nicht verbindlich
Die EFSA-Guidance, wonach Aussagen zum äußeren Erscheinungsbild „nicht notwendigerweise“ Funktionsangaben darstellen, binden die nationalen Gerichte nicht. Maßgeblich bleibt der normative Verbrauchermaßstab, nicht die technische Sicht der Behörde.
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Ergebnis
Der BGH hob die Entscheidung des OLG Hamm teilweise auf, beschränkte die Unterlassungsverpflichtung auf drei Aussagen und wies die Klage im Übrigen ab. Die Kosten wurden gegeneinander aufgehoben.
IV. Bedeutung für die Praxis – jede Formulierung zählt
Das Urteil verdeutlicht:
„Beauty Claims“ bieten keinen rechtlichen Freiraum. Entscheidend ist die Verbrauchererwartung im Kontext der gesamten Werbung. Schon einzelne Begriffe wie „gesund“, „normaler Stoffwechsel“ or „signifikante Verbesserung“ können den Kommunikationsrahmen in den Health-Claim-Bereich verschieben.
Praxis-Tipp:
- Prüfen Sie jede Aussage im Gesamtzusammenhang der Werbung.
- Vermeiden Sie Funktionsbegriffe wie „Stoffwechsel, Elastizität, Barriere, Feuchtigkeit“ ohne zugelassenen Claim.
- Nutzen Sie bei allgemeinen Aussagen nach Art. 10 Abs. 3 HCVO zwingend einen konkreten, zugelassenen Health Claim als Bezug.
- Achten Sie darauf, dass Studienangaben nicht suggerieren, das Produkt wirke medizinisch or funktional.
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Für Hersteller, Händler und Influencer im Bereich Nahrungsergänzungsmittel gilt:
Jede Werbebotschaft muss auf ihre gesundheitsrechtliche Relevanz geprüft werden. Ein Claim-Audit durch einen spezialisierten Wettbewerbsrechtler ist dringend anzuraten – gerade bei Produkten mit Collagen, Hyaluronsäure, Vitaminen oder sekundären Pflanzenstoffen.
Tipp aus der Praxis:
Werbeaussagen sollten vor Veröffentlichung rechtlich geprüft und dokumentiert werden. Schon ein unbedachtes Wort kann zum Abmahnrisiko durch Wettbewerbsverbände führen.
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Nicht zu Beauty Claims, aber zu Botanicals haben wir bereits eine BGH-Entscheidung besprochen: