Dachterrassen sind modern und beliebt, müssen aber trotzdem Gestaltungssatzungen im Bebauungsplan entsprechen, so das VG Schleswig.
Problemlage – Moderne Architektur trifft Bauplanungsrecht
Die Errichtung von Dachterrassen erfreut sich wachsender Beliebtheit. Sie bieten zusätzlichen Freiraum, erhöhen den Wohnwert und gelten als architektonisch modern. Doch was geschieht, wenn städtebauliche Gestaltungsvorgaben diesem Wunsch entgegenstehen? Genau dies war Gegenstand einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts Schleswig vom 22. Mai 2025 (Az.: 8 A 10022/21).
Im Mittelpunkt stand die Frage, ob eine Dachterrasse zulässig ist, wenn der Bebauungsplan ausschließlich bestimmte Dachformen wie Satteldächer oder Walmdächer erlaubt. Das Gericht hat die Klage der Bauherren auf Erteilung einer Baugenehmigung abgewiesen – mit klaren rechtlichen Erwägungen zur Geltung und Wirkung örtlicher Bauvorschriften, sogenannter Gestaltungssatzungen.
Worum ging es genau? Bauherren scheitern mit Genehmigungsantrag für Dachterrasse
Die Kläger wollten ein bereits teilweise errichtetes Wohnhaus in St. Peter-Ording nachträglich legalisieren. Bestandteil des Bauantrags war u.a. eine Terrasse auf dem Flachdach eines Anbaus zwischen Hauptgebäude und Wintergarten. Diese wurde von den Klägern als „Balkon“ bezeichnet, in Wirklichkeit aber als Dachfläche genutzt.
Der Bebauungsplan, konkret die örtlichen Bauvorschriften in der Fassung der 2. Änderung vom 20. Mai 2023, schrieben jedoch eine genehmigungspflichtige Dachform vor: Nur Sattel-, Zelt-, Walm- oder Krüppelwalmdächer waren für Hauptgebäude erlaubt. Flachdächer waren lediglich für Garagen, Carports, Wintergärten und Nebenanlagen zugelassen – nicht jedoch für Aufenthaltsräume oder Dachterrassen.
Die Bauaufsichtsbehörde lehnte die Genehmigung ab. Auch ein erforderlicher Antrag auf Abweichung nach § 71 Landesbauordnung Schleswig-Holstein (LBO SH) wurde nicht gestellt. Die Kläger zogen daraufhin vor Gericht und beriefen sich auf eine vermeintliche Funktionslosigkeit des Bebauungsplans, da angeblich mehrere Gebäude mit ähnlichen Flachdachkonstruktionen existieren.
Rechtliche Würdigung des VG – Bindung an Gestaltungssatzungen und fehlender Abweichungsantrag
- Anspruch auf Baugenehmigung (§ 72 Abs. 1 S. 1 LBO SH)
Nach § 72 Abs. 1 Satz 1 LBO SH ist eine Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen. Maßgeblich ist hier der Bebauungsplan i.S.d. § 30 Abs. 1 BauGB.
Da das Grundstück im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans lag, musste das Vorhaben dessen Festsetzungen vollständig entsprechen. Die vorgesehene Dachterrasse widersprach aber den örtlichen Bauvorschriften zur Dachgestaltung (§ 84 Abs. 1 LBO SH).
- Gestaltungssatzung – Rechtsnatur und Bindungswirkung
Ortsrechtliche Gestaltungssatzungen sind als örtliche Bauvorschriften Bestandteil des Bebauungsplans oder werden als selbstständige Satzung gemäß § 84 LBO SH erlassen. Sie dienen der Sicherung eines bestimmten Orts- und Landschaftsbilds und legen unter anderem fest:
- zulässige Dachformen und Dachneigungen
- Materialien und Farben
- Fassadengestaltung oder Firstrichtung
Im konkreten Fall sah Ziffer 2.1 der örtlichen Bauvorschriften ausdrücklich vor, dass Dächer in bestimmter Form (Sattel, Walm etc.) auszuführen sind. Flachdächer sind nur für untergeordnete Nebenanlagen erlaubt. Dachterrassen stellen baurechtlich ein Flachdach dar – auch dann, wenn sie begehbar und mit einem Geländer versehen sind.
Das VG stützte sich u.a. auf die gefestigte Rechtsprechung (z. B. BayVGH, Beschl. v. 09.08.2021 – 15 CS 21.1636), wonach eine Dachterrasse typischerweise als Flachdach zu bewerten ist – unabhängig von der tatsächlichen Nutzung oder optischen Wirkung.
- Keine Abweichung wegen fehlenden Antrags (§ 71 LBO SH)
Ein formell gestellter und begründeter Antrag auf Abweichung gemäß § 71 Abs. 1 LBO SH war nicht Bestandteil des Verfahrens. Eine solche Abweichung hätte jedoch die einzige Möglichkeit eröffnet, das Vorhaben trotz Widerspruchs zur Dachform zu genehmigen.
Weder darf das Gericht eine Abweichung ohne Antrag prüfen, noch durfte es selbst in eine Ermessensentscheidung der Bauaufsicht eintreten. Auch ein etwaiger Anspruch wegen Selbstbindung der Verwaltung scheitert – weil kein entsprechendes Verwaltungsverfahren durchgeführt wurde.
- Keine Funktionslosigkeit des Bebauungsplans
Das Gericht verwarf auch die Argumentation, der Bebauungsplan sei durch faktische Entwicklung funktionslos geworden. Zwar existierten im Plangebiet auch andere Gebäude mit unzulässigen Dachformen. Diese seien jedoch überwiegend als Nebenanlagen einzustufen oder ohne Genehmigung errichtet worden. Elf rechtswidrige Abweichungen bei über 100 Gebäuden reichten dem Gericht nicht aus, um von einem vollständigen Steuerungsverlust im Sinne der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BVerwG, Urt. v. 24.04.2024 – 4 C 2.23) auszugehen.
Exkurs: Was bedeutet „Funktionslosigkeit einer Festsetzung im Bebauungsplan“?
Die Kläger im Verfahren vor dem VG Schleswig hatten argumentiert, die örtlichen Vorschriften zur Dachform seien „funktionslos“ geworden, da im Plangebiet mehrere Flachdächer bzw. Dachterrassen existierten. Diese Argumentation begegnet hohen rechtlichen Anforderungen – und wurde vom VG Schleswig zu Recht verworfen.
Klarheit zu den Maßstäben der sogenannten Funktionslosigkeit von Bebauungsplanfestsetzungen hat das Bundesverwaltungsgericht in seiner zitierten Grundsatzentscheidung vom 24.04.2024 (Az.: 4 C 2.23) geschaffen:
- Begriff und rechtliche Bedeutung
Eine Festsetzung eines Bebauungsplans wird nicht durch Zeitablauf oder faktische Missachtung automatisch unwirksam. Sie tritt nur dann außer Kraft, wenn:
- ihre Verwirklichung auf unabsehbare Zeit ausgeschlossen ist, and
- dies offenkundig ist, also jeder rechtlich und sachlich fundierten Prüfung standhält (vgl. Rn. 22 der Entscheidungsgründe).
- Maßstab der Offenkundigkeit
Der Verlust der Steuerungsfähigkeit muss so deutlich und unumkehrbar sein, dass ein Vertrauen auf die weitere Geltung der Regelung nicht mehr schutzwürdig ist. Es genügt nicht, wenn ein Durchschnittsbürger bauliche Abweichungen erkennen kann – maßgeblich ist eine fachlich geprägte Bewertung der tatsächlichen und rechtlichen Entwicklung.
- Betrachtungsraum
Das BVerwG bestätigt, dass der Betrachtungsraum auf ein Teilgebiet des Bebauungsplans beschränkt werden kann – aber nur, wenn der Plan ausdrücklich oder konzeptionell eine selbstständige städtebauliche Wirkung gerade in diesem Teilbereich entfalten sollte.
- Übertragbarkeit auf das Urteil des VG Schleswig
Genau diese Maßstäbe legte das VG Schleswig an: Obwohl einzelne Gebäude im Plangebiet über Flachdächer verfügten, sah das Gericht in der Gesamtschau von über 100 Gebäuden und nur elf festgestellten Abweichungen keinen vollständigen Steuerungsverlust. Auch war nicht offenkundig, dass die Vorschrift nicht mehr realisiert werden könne. In voller Übereinstimmung mit der neuen höchstrichterlichen Rechtsprechung des BVerwG war damit die Annahme einer Funktionslosigkeit rechtsdogmatisch unzulässig.
Fazit für die Praxis – Dachform ist kein „Detail“, sondern Genehmigungsvoraussetzung
Die Entscheidung verdeutlicht die Relevanz örtlicher Gestaltungssatzungen bei der Planung von Bauvorhaben. Gerade Dachterrassen werden von Gerichten regelmäßig als unzulässige Flachdächer bewertet, sofern die Dachgestaltung streng geregelt ist. Auch optische Gestaltung oder untergeordnete Größe schützen nicht vor der Genehmigungspflicht.
Für Bauherren und Architekten bedeutet das: Wer in einem Gebiet mit aktiver Gestaltungssatzung bauen möchte, sollte die Festsetzungen frühzeitig prüfen (lassen) und ggf. formgerecht eine Abweichung beantragen.
Sie planen eine Dachterrasse oder ein modernes Wohnhaus?
Wir prüfen Ihre Bauplanung auf Genehmigungsfähigkeit, beraten zu Gestaltungssatzungen und vertreten Sie im Genehmigungsverfahren oder vor Gericht. Vermeiden Sie kostspielige Verzögerungen und rechtliche Risiken – sprechen Sie Ihre Experten im Verwaltungsrecht bei AVANTCORE RECHTSANWÄLTE in Stuttgart an.