Ein aktueller Beschluss des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Bremen (Beschl. vom 15.04.2025 – 1 LA 273/23) grenzt ab zwischen Arzneimittel, Medizinprodukt, Nahrungsergänzungsmittel und Biozidprodukt.
Eine aktuelle Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Bremen (Beschl. vom 15.04.2025 – 1 LA 273/23) zu einem vermeintlich “technischen” Verarbeitungshilfsstoff zeigt exemplarisch, wie relevant die korrekte rechtliche Einordnung von Gesundheitsprodukten ist. Hersteller und Inverkehrbringer sehen sich in der Praxis immer wieder mit komplexen Abgrenzungsfragen konfrontiert: Handelt es sich um ein Arzneimittel, ein Medizinprodukt, ein Nahrungsergänzungsmittel oder ein Biozidprodukt? Diese Entscheidung hilft bei der rechtlichen Einordnung und zeigt zugleich die juristischen Fallstricke auf.
Der Fall: Verarbeitungshilfsstoff oder Biozid?
Im Zentrum des Falls stand ein Produkt, das als „gebrauchsfertige Lösung zur mikrobiologischen Hygienisierung der Medien Luft und Prozesswasser für die Lebensmittelindustrie“ in den Verkehr gebracht wurde. Es wurde vom Hersteller als Verarbeitungshilfsstoff deklariert. Tatsächlich entfaltete es jedoch eine Wirkung gegen Mikroorganismen und stellte damit ein Desinfektionsmittel dar. Das OVG Bremen machte deutlich: Entscheidend ist nicht die Deklaration durch den Hersteller, sondern die objektiv beabsichtigte oder zumindest vorhandene mikrobiologische Wirkung. Das Produkt fiel somit unter die Biozidprodukte-Verordnung (EU) Nr. 528/2012 und bedurfte einer entsprechenden Zulassung.
Juristische Einordnung: Abgrenzungsprobleme im Gesundheitsprodukterecht (im vereinfachten Überblick)
Arzneimittel vs. Nahrungsergänzungsmittel
Die Abgrenzung erfolgt vorrangig über die Zweckbestimmung und Wirkung:
- Arzneimittel gemäß § 2 AMG: zur Heilung, Linderung oder Verhütung von Krankheiten; pharmakologische Wirkung.
- Nahrungsergänzungsmittel: Lebensmittel mit ernährungsphysiologischer Funktion, keine pharmakologische Wirkung.
Problematisch wird es bei gesundheitsbezogenen Aussagen oder Inhaltsstoffen mit potenziell therapeutischer Wirkung.
Arzneimittel vs. Medizinprodukte
- Arzneimittel: pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung.
- Medizinprodukte: physikalische Wirkmechanismen (z. B. Barrierewirkung, mechanischer Schutz).
Bei Produkten mit “Doppelfunktion” ist die Hauptwirkung ausschlaggebend. Rechtsprechung und Behörden fordern hier eine klare wissenschaftliche Dokumentation. Über ein aktuelles Urteil des EuGH zu diesem Thema hatten wir bereits berichtet.
Biozide vs. andere Produktkategorien
- Biozidprodukte dienen der Bekämpfung von Schadorganismen über chemische oder biologische Wirkmechanismen.
- Sie dürfen keine therapeutische Hauptwirkung am Menschen entfalten (diese wären dann Arzneimittel).
Klassische Grenzfälle:
- Händedesinfektionsmittel: Arzneimittel im medizinischen Bereich, Biozide im privaten Gebrauch.
- Oberflächendesinfektion in Kliniken: Biozide, sofern keine medizinproduktrechtliche Zweckbestimmung.
Bewertung der OVG-Entscheidung
Das OVG Bremen bestätigt einen entscheidenden Grundsatz:
Die objektive Wirkweise und der beabsichtigte Einsatz des Produkts bestimmen die rechtliche Einordnung – nicht (allein) die Selbstdarstellung durch den Hersteller.
Diese Klarstellung ist insbesondere für Hersteller technischer Hilfsstoffe, kosmetischer Zusatzstoffe und anderer Produkte in Grenzbereichen von erheblicher Relevanz.
Handlungsempfehlung zum Umgang mit der Klassifizierung von Biozidprodukten für Hersteller und Inverkehrbringer
- Rechtliche Einordnung frühzeitig vornehmen: Es ist empfehlenswert, bereits im Entwicklungsstadium eine spezialisierte juristische Klassifikation durch einen Anwalt von AVANTCORE Rechtsanwälte durchführen zu lassen.
- Dokumentation der Wirkweise und Zweckbestimmung: Klare, wissenschaftlich nachvollziehbare Unterlagen sind essenziell.
- Werbung und Etikettierung prüfen: Es sollten keine gesundheitsbezogenen Aussagen getroffen werden, die eine Arzneimitteleigenschaft suggerieren.
Fazit: Die Entscheidung des OVG Bremen verdeutlicht, wie schnell eine falsche Produkteinordnung zu erheblichen rechtlichen und wirtschaftlichen Konsequenzen führen kann. Die Rechtsanwälte von AVANTCORE Rechtsanwälte in Stuttgart beraten Sie gerne bei der rechtskonformen Klassifikation, Zulassung und Vermarktung Ihrer Produkte.