Was ist eine „pharmakologische Wirkung“ – zum Urteil des EuGH „Femannose N“ vom 13.3.2025, Rechtssache C‑589/23.
1. Hintergrund der Entscheidung
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens über die Einstufung des Produkts „Femannose N“ zu entscheiden, das als Medizinprodukt vermarktet wurde. Es enthält D-Mannose, einen Stoff, der sich reversibel an Bakterien bindet und deren Anhaftung an die Blasenwand verhindert.
Ein deutscher Wettbewerbsverband klagte gegen die Vermarktung als Medizinprodukt und argumentierte, dass es sich hierbei um ein nicht zugelassenes Arzneimittel handele. Das Oberlandesgericht Köln entschied, wie bereits das LG Köln, dass D-Mannose eine pharmakologische Wirkung entfalte, was zur Klassifizierung als Arzneimittel führte. Der Bundesgerichtshof legte diese Frage schließlich dem EuGH zur Entscheidung vor.
Hintergrund des Rechtsstreits war die Frage, was unter einer „pharmakologischen Wirkung“ im Sinne des Arzneimittelrechts zu verstehen ist. Die Rechtsprechung zieht hierzu regelmäßig eine Definition heran, wonach darunter „eine Wechselwirkung (Interaktion) zwischen den Molekülen der in Frage stehenden Substanz und einem zellulären Bestandteil, gewöhnlich als Rezeptor bezeichnet,“ zu verstehen ist, „die entweder in einer direkten Reaktion (Antwort) resultiert oder die Reaktion (Antwort) auf ein anderes Agens blockiert. Das Vorhandensein einer Dosis-Wirkungs-Beziehung stellt dabei, obwohl kein vollständig vertrauenswürdiges Kriterium, einen Hinweis auf einen pharmakologischen Effekt dar“ (so etwa der BGH in dem Vorlagebeschluss vom 14.09.2023 – I ZR 4/21, Rn. 11 unter Verweis auf die MEDDEV-Guidelines der Europäischen Kommission – “Medical Devices: Guidance document – Borderline products, drug-delivery products and medical devices incorporating, as integral part, an ancillary medicinal substance or an ancillary human blood derivative”, MEDDEV 2.1/3 rev 3).
Im Kern ging es in dem Rechtsstreit damit um die Frage, ob eine Substanz, die selbst nicht in eine unmittelbare Wechselwirkung mit körperlichen Zellen tritt, unter diesen Arzneimittelbegriff fällt.
2. Kernaussagen des EuGH-Urteils
Der EuGH entschied, dass ein Stoff, der durch eine reversible Bindung an Bakterien verhindert, dass sich diese an menschliche Zellen binden, eine „pharmakologische Wirkung“ im Sinne von Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83/EG entfalte:
- Die Einstufung als Arzneimittel hängt nicht davon ab, ob die Bindung reversibel oder irreversibel ist.
- Eine pharmakologische Wirkung liegt bereits dann vor, wenn der Stoff pathologische Prozesse blockiert, indem er eine molekulare Wechselwirkung mit Krankheitserregern eingeht.
- Produkte mit einer solchen Wirkweise fallen unter das Arzneimittelrecht und nicht unter die Vorschriften für Medizinprodukte.
3.Auswirkungen auf Hersteller und Vertreiber
Die Entscheidung hat weitreichende Folgen für die Abgrenzung zwischen Arzneimitteln und Medizinprodukten:
- Produkte mit Stoffen, die in molekularer Wechselwirkung mit Krankheitserregern stehen und dadurch eine präventive oder therapeutische Wirkung erzielen, sind als Arzneimittel einzustufen.
- Unternehmen müssen für solche Produkte ein Arzneimittelzulassungsverfahren nach der Richtlinie 2001/83/EG durchlaufen.
- Eine fehlerhafte Einstufung kann zu wettbewerbsrechtlichen Abmahnungen und behördlichen Maßnahmen (zum Beispiel Vertriebsverboten) führen.
Empfehlung für Unternehmen
- Hersteller und Händler sollten bestehende Produkte überprüfen, insbesondere, wenn deren Wirkung auf einer molekularen Wechselwirkung mit Krankheitserregern basiert. Eine erneute Risikobewertung nach Arzneimittelrecht ist dringend anzuraten.
- Geplante Produktneueinführungen sollten bereits in der Entwicklungsphase daraufhin geprüft werden, ob eine pharmakologische Wirkung vorliegt. Falls ja, muss eine Zulassung als Arzneimittel angestrebt werden.
- Werbung und Vermarktung müssen an die neue Rechtslage angepasst werden. Eine Bewerbung als Medizinprodukt könnte wettbewerbsrechtliche Risiken mit sich bringen.
- Fragen Sie einen Anwalt: Falls Unsicherheiten bestehen, ob ein Produkt unter die Arzneimitteldefinition fällt, sollte eine frühzeitige rechtliche Klärung durch die Spezialisten für juristische Fragen zu Arzneimitteln und Medizinprodukten bei AVANTCORE Rechtsanwälte erfolgen, um kostenintensive Zulassungsverfahren, behördliche Schritte oder wettbewerbsrechtliche Abmahnungen zu vermeiden.