Eine Vorverlegung der Sperrzeit für die Außengastronomie ist nur mit belastbarer Begründung durch die Behörde zulässig.

Die zunehmenden Konflikte zwischen urbaner Ausgehkultur und dem Ruhebedürfnis der Anwohner führen regelmäßig zu rechtlichen Auseinandersetzungen. Besonders betroffen ist die Außengastronomie, die in vielen Innenstadtbereichen fester Bestandteil des sozialen Lebens ist. Kommt es zu Beschwerden wegen nächtlicher Lärmbelästigung, greifen die Behörden regelmäßig zu einem scharfen Schwert: der Vorverlegung der Sperrzeit. Doch dieser Eingriff in die unternehmerische Freiheit ist rechtlich nur in engen Grenzen zulässig – wie das Verwaltungsgericht Berlin in einem aktuellen Beschluss vom 8. Juli 2025 (Az. VG 4 L 66/25) deutlich gemacht hat.

Worum ging es?

Gegenstand des Verfahrens war die Schank- und Speisewirtschaft „X …“ in einem beliebten Berliner Ausgehviertel. Seit 1993 betrieben, verfügte der Gastronom über einen Vorgarten mit Außengastronomie. Im Jahr 2024 reagierte das Bezirksamt Pankow auf neue Beschwerden einzelner Anwohnender und setzte die Sperrzeit für den Außenbetrieb mit Bescheid vom 12. November 2024 auf 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr fest. Die Maßnahme wurde mit einer Lärmprognose sowie Hinweisen auf die Überschreitung der Richtwerte der TA Lärm begründet. Zudem wurden Zwangsgelder angedroht und die sofortige Vollziehung angeordnet.

Was sagt das VG Berlin?

Der Gastwirt wehrte sich gegen die Auflagen mit einem Eilantrag – mit Erfolg. Das VG Berlin stellte die aufschiebende Wirkung der Klage wieder her. Zur Begründung führte das Gericht zunächst aus, dass es bereits an einer tragfähigen Tatsachengrundlage für die angeordnete Maßnahme fehle. Die Prognoseberechnung habe sich auf eine Wohnung bezogen, die vom Betreiber selbst genutzt werde – dieser sei jedoch nicht immissionsschutzrechtlich schutzwürdig.

Auch die übrigen Beschwerden seien nicht aussagekräftig genug gewesen, um von einer erheblichen Störung der Nachtruhe ausgehen zu können. Vielmehr habe es sich bei den betroffenen Personen überwiegend um Anwohner gehandelt, die weder direkt betroffen noch nachvollziehbar beeinträchtigt gewesen seien. Selbst der lautstärkste Beschwerdeführer wohnte über 100 Meter entfernt in einer Seitenstraße, ohne Sichtverbindung zur Gaststätte. Messungen hatte die Behörde nicht vorgenommen.

Was ist bei einer Vorverlegung der Sperrzeit  zu beachten?

Vorverlegung der Sperrzeit AußengastronomieHinzu kam, dass die Gaststätte in einem Gebiet mit hoher Gastronomiedichte liegt, das vom Gericht als „Mischgebiet“ bewertet wurde. In einer solchen städtischen Umgebung gehören gewisse Lärmeinwirkungen zur typischen Geräuschkulisse. Das Gericht stellte fest, dass die Straße, in der sich die Gaststätte befindet, nachweislich von zahlreichen Bars, Kneipen und Spätverkäufen geprägt ist. Menschen halten sich dort bis spät in die Nacht auf – teils in den Außenbereichen der Gastronomie, teils auf dem öffentlichen Straßenland. Der daraus resultierende sogenannte „Soziallärm“ ist nicht ohne Weiteres dem Betreiber einer einzelnen Gaststätte zuzurechnen.

Auch die vom Bezirksamt herangezogene Lärmprognose wurde als nicht tragfähig eingestuft. Sie berücksichtigte Maximalwerte, ging von zu hohen Gästezahlen aus und konnte letztlich nicht erklären, warum sie über zehn Dezibel höhere Werte annahm als eine frühere behördliche Berechnung im selben Fall. Die vom Gericht geforderte Einzelfallwürdigung unter Berücksichtigung der sozialen Akzeptanz, der langjährigen Betriebserlaubnis und der besonderen Prägung des Viertels hatte die Behörde ebenfalls nicht vorgenommen. All dies führte dazu, dass das Gericht die Sperrzeitverfügung als voraussichtlich rechtswidrig einstufte und dem Vollzugsinteresse der Behörde die Grundlage entzog.

Die Entscheidung unterstreicht, dass eine Vorverlegung der Sperrzeit eine schwerwiegende Ausnahme vom gesetzlichen Regelfall darstellt und nur auf der Basis fundierter Ermittlungen und einer nachvollziehbaren Abwägung aller Umstände des Einzelfalls erfolgen darf. Dabei spielt nicht nur die konkrete Lärmsituation, sondern auch die städtebauliche Einordnung, die ortsübliche Nutzung und das Verhältnis der betroffenen Interessen eine zentrale Rolle.

Auch wenn das VG Berlin zunächst nur im Eilverfahren entschieden hat, deutet der Beschluss darauf hin, dass der betroffene Gastwirt auch in einem Hauptsacheverfahren Erfolg haben könnte.

Fazit und Empfehlung für Betroffene

Die Entscheidung des VG Berlin zeigt deutlich: Behörden dürfen Sperrzeiten nicht pauschal oder auf Basis fragwürdiger Einzelbeschwerden verschärfen. Wer als Gastronom von solchen Maßnahmen betroffen ist, sollte umgehend rechtlichen Rat einholen und die Grundlagen der Verfügung zur Vorverlegung der Sperrzeit einer gerichtlichen Prüfung unterziehen lassen. Gleichzeitig bietet die Entscheidung auch Anwohnern Orientierung: Bloße Unmutsäußerungen reichen nicht aus, um behördliche Maßnahmen zu erzwingen. Erforderlich ist eine konkrete und qualifizierte Betroffenheit – andernfalls obsiegt der Schutz der unternehmerischen Freiheit.

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Mit Lärmbelastung durch Außengastronomie und einer Vorverlegung der Sperrzeit haben wir uns schon einmal beschäftigt:

Außengastronomie: OVG NRW bestätigt strengere Auflagen bei wiederholten Lärmbeschwerden

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