Das OLG Schleswig hat im Fall „Meta“ klargestellt: Wer zu lange mit einem Antrag auf einstweilige Verfügung wartet, verliert den Eilrechtsschutz – selbst bei klarer Rechtsverletzung. Unternehmen sollten Ankündigungen strategisch nutzen und interne Prozesse für schnelles Handeln optimieren.
Der einstweilige Rechtsschutz ist im Wettbewerbs- und Datenschutzrecht ein scharfes Instrument. Er ermöglicht es, innerhalb kürzester Zeit Unterlassungsverfügungen gegen Wettbewerber zu erwirken – oft noch bevor die beanstandete Handlung am Markt Wirkung entfaltet. Damit dieses Instrument greift, muss jedoch eine besondere Eilbedürftigkeit vorliegen. Fehlt diese Dringlichkeit, scheitert das Verfahren schon aus prozessualen Gründen – selbst, wenn die behauptete Rechtsverletzung inhaltlich klar gegeben ist.
Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht hat in einer aktuellen Entscheidung vom 12. August 2025 (Az. 6 UKI 3/25) diesen Grundsatz eindrucksvoll bestätigt und präzisiert. Im Mittelpunkt stand dabei nicht die Frage, ob die gerügte Datenverarbeitung tatsächlich rechtswidrig war, sondern ob der Antragsteller zu lange zugewartet hatte, um noch im Eilverfahren vorgehen zu dürfen.
Worum ging es? – Ankündigung statt Überraschung
Ausgangspunkt war eine öffentliche Mitteilung von Meta, dem Betreiber von Facebook und Instagram, am 14. April 2025. Darin kündigte das Unternehmen an, künftig öffentliche Inhalte volljähriger Nutzer sowie deren Interaktionen mit KI für das Training eigener KI-Modelle zu verwenden. Diese Information wurde über Pressemitteilungen, E-Mails und In-App-Hinweise an alle Nutzer kommuniziert. Bereits zu diesem Zeitpunkt war klar, dass die Maßnahme auch plattformübergreifend (Facebook und Instagram) wirken und die Daten unter anderem außerhalb der Plattformen, etwa in der hauseigenen Llama-KI, eingesetzt werden würden.
Trotz dieser frühzeitigen und präzisen Ankündigung wartete der Antragsteller mehr als zwei Monate, bevor er am 27. Juni 2025 den Erlass einer einstweiligen Verfügung beantragte. Zu diesem Zeitpunkt lief die angekündigte Datenverarbeitung bereits seit einem Monat.
Die Entscheidung – Für Dringlichkeit ist der Zeitpunkt der Kenntnis maßgeblich
Das OLG Schleswig stellte klar: Für die Dringlichkeitsprüfung kommt es nicht darauf an, wann die Rechtsverletzung tatsächlich eintritt, sondern wann der Antragsteller sichere Kenntnis von der bevorstehenden Handlung erlangt. Eine klare Ankündigung, die den geplanten Umfang erkennen lässt, genügt, um den Fristlauf in Gang zu setzen. Der gängige Orientierungswert in der Rechtsprechung liegt bei etwa einem Monat. Wird dieser Zeitraum ohne triftigen Grund überschritten, entfällt die Dringlichkeit – mit der Folge, dass der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz unzulässig ist.
Der Senat betonte zudem, dass der Beginn der Umsetzung keinen neuen Fristbeginn auslöst. Wer von der geplanten Maßnahme weiß, kann nicht abwarten, bis sie umgesetzt wird, um dann erneut ein Eilverfahren zu starten. Auch das Argument, man habe den genauen Umfang erst später erkannt, ließ das Gericht nicht gelten. Gerade im Wettbewerbs- und Datenschutzrecht wird von Antragstellern erwartet, auf Grundlage der vorhandenen Informationen zügig zu reagieren.
Europarechtlicher Rahmen ändert nichts am Eilmaßstab
Interessant ist auch die Auseinandersetzung des Gerichts mit dem Einwand, das Europarecht – insbesondere die DSGVO – kenne keine Dringlichkeitsfristen. Das OLG Schleswig stellte klar, dass der effektive Rechtsschutz nach Art. 79 DSGVO nicht bedeutet, auf die Prüfung der besonderen Eilbedürftigkeit zu verzichten. Mitgliedstaaten dürfen Dringlichkeitsanforderungen festlegen, um sicherzustellen, dass einstweiliger Rechtsschutz tatsächlich nur für zeitkritische Konstellationen zur Verfügung steht.
Bedeutung für Unternehmen
Für Unternehmen hat die Entscheidung gleich in zweifacher Hinsicht Relevanz. Auf der einen Seite verdeutlicht sie, dass bei der Abwehr einstweiliger Verfügungen die Dringlichkeitsprüfung ein entscheidender Hebel sein kann. Lässt sich belegen, dass der Antragsteller schon Wochen oder Monate vor Antragstellung von der beanstandeten Maßnahme wusste, kann dies das gesamte Verfahren zu Fall bringen – unabhängig von der materiellen Rechtslage. Gerade bei geplanter Markteinführung neuer Produkte oder Funktionen kann es daher strategisch sinnvoll sein, im Vorfeld gezielt und dokumentiert zu kommunizieren, um potenzielle Gegner frühzeitig in Kenntnis zu setzen und damit die Dringlichkeitsfrist anzustoßen.
Auf der anderen Seite mahnt die Entscheidung Unternehmen, die selbst gegen Wettbewerber vorgehen wollen, zu konsequentem Handeln. Wer zu lange zögert – sei es aus internen Abstimmungen, aus Marktbeobachtung oder aus taktischen Überlegungen – läuft Gefahr, dass der Eilrechtsschutz verloren geht und nur noch der Weg über ein langwieriges Hauptsacheverfahren bleibt.
Unsere Empfehlung
Unternehmen, die mit wettbewerbs-, datenschutz- oder verbraucherschutzrechtlichen Vorwürfen konfrontiert werden, sollten frühzeitig prüfen, ob eine verspätete Antragstellung des Gegners geltend gemacht werden kann. Eine sorgfältige Dokumentation von Ankündigungen, Vorabinformationen und öffentlichen Mitteilungen ist hierfür ein entscheidendes Verteidigungsinstrument. Dabei sollte allerdings nicht vergessen werden, dass es keine allgemeine Marktbeobachtungspflicht von Wettbewerbern gibt! Umgekehrt gilt: Wer selbst Eilrechtsschutz in Anspruch nehmen möchte, muss interne Prozesse so gestalten, dass nach Kenntnis einer drohenden Rechtsverletzung binnen weniger Tage die juristische Bewertung erfolgt und gegebenenfalls sofort ein Antrag gestellt werden kann.
AVANTCORE Rechtsanwälte in Stuttgart verfügt über langjährige Erfahrung in der strategischen Abwehr und Durchsetzung wettbewerbs- und datenschutzrechtlicher Ansprüche – sowohl im Eilverfahren als auch in der Hauptsache. Wir kennen die prozessualen Hebel, um Anträge mangels Dringlichkeit bereits im Ansatz zu Fall zu bringen, und beraten Unternehmen dabei, ihre Kommunikation und Dokumentation so auszurichten, dass sie rechtlich bestmöglich geschützt sind. Wer rechtzeitig auf unsere Expertise setzt, kann nicht nur Verfahren vermeiden, sondern auch seine Marktposition gezielt absichern.