Die Bewerbung von Lebensmitteln mit gesundheitsbezogenen Aussagen ist grundsätzlich verboten, sofern nicht ein zugelassener „Gesundheits-Claim“ für einen oder mehrere in dem Lebensmittel enthaltenen Stoffe existiert.
Bei pflanzlichen Stoffen (sog. „Botanicals“) besteht die Besonderheit, dass zahlreiche Anträge auf Zulassung entsprechender „Claims“ bisher von der EU nicht abschließend bearbeitet worden sind. Das führt immer wieder zu rechtlichen Fragestellungen, mit denen sich auch ein Urteil vom 30.04.2025 (C‑386/23) des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) befasst.
- Worum ging es?
Ein deutsches Unternehmen bewarb ein Nahrungsergänzungsmittel unter Bezugnahme auf die pflanzlichen Inhaltsstoffe Safran-Extrakt und Melonensaft-Extrakt. Die Werbung enthielt unter anderem Aussagen wie:
- „stimmungsaufhellendes Safranextrakt“,
- „77 % der Probanden fühlten sich nach zwei Wochen optimistischer und glücklicher“,
- „Reduktion von Erschöpfung und Stress um 63 % durch Melonensaft-Extrakt“.
Diese Angaben wurden von einem in Deutschland ansässigen Wettbewerbsverband als unzulässig im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben (HCVO) beanstandet.
Im Mittelpunkt des Rechtsstreits stand die Frage, ob solche gesundheitsbezogenen Angaben über „Botanicals“ (pflanzliche Stoffe) zulässig sind, obwohl die wissenschaftliche Bewertung durch die EFSA sowie die Aufnahme in die Gemeinschaftsliste durch die Kommission bisher ausgesetzt bzw. nicht abgeschlossen sind.
- Rechtliche Bewertung durch den EuGH
A. Klarstellung zur Anwendbarkeit von Art. 10 Abs. 1 und 3 HCVO
Der Gerichtshof stellt unmissverständlich klar:
- Gesundheitsbezogene Angaben über pflanzliche Stoffe dürfen nur gemacht werden, wenn sie den allgemeinen Anforderungen der Verordnung entsprechen und in die von der Kommission veröffentlichten Listen zulässiger Angaben (Art. 13 und 14) aufgenommen wurden.
- Unspezifische Aussagen („unterstützt das Wohlbefinden“) sind nur erlaubt, wenn ihnen eine spezifisch zugelassene Angabe beigefügt ist, die ebenfalls in den Listen enthalten sein muss.
B. Keine Ausnahme wegen Verzögerung durch die Kommission
Die Tatsache, dass die Prüfung gesundheitsbezogener Angaben über „Botanicals“ durch die EFSA und die Kommission seit Jahren nicht abgeschlossen ist, begründet keine Ausnahme vom Erfordernis einer Zulassung. Das Gericht betont:
- Es handelt sich nicht um eine unzumutbare Einschränkung der unternehmerischen Freiheit (Art. 16 EU-Grundrechtecharta), da der Gesundheitsschutz und Verbraucherschutz vorrangige Ziele der Verordnung sind.
- Die Verhältnismäßigkeit ist gewahrt, da Übergangsregelungen (Art. 28 HCVO) existieren, die eine befristete Nutzung unter bestimmten Voraussetzungen ermöglichen.
C. Übergangsregelung (Art. 28 Abs. 6 HCVO) – sehr eng begrenzt
Gesundheitsbezogene Angaben dürfen übergangsweise nur verwendet werden, wenn:
- sie bereits vor dem 19. Januar 2008 im Verkehr waren, und
- ein entsprechender Antrag auf Zulassung fristgerecht gestellt wurde.
In diesem waren diese Voraussetzungen nicht erfüllt, da die Anträge verspätet oder gar nicht eingereicht wurden. Eine Nutzung der Aussagen war daher nicht zulässig.
D. Keine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes
Lebensmittelunternehmer befinden sich nur dann in vergleichbaren Situationen, wenn die wissenschaftliche Bewertung ihrer Angaben abgeschlossen ist. Solange dies bei „Botanicals“ nicht der Fall ist, besteht kein Anspruch auf Gleichbehandlung mit anderen Stoffen.
Empfehlungen zum Umgang mit Botanicals für betroffene Unternehmen
- Unverzügliche Überprüfung aller gesundheitsbezogenen Angaben
- Unternehmen sollten sämtliche Aussagen auf Etiketten, Websites, Flyern, Social Media etc. überprüfen.
- Besonders kritisch sind Aussagen zu psychischem Wohlbefinden, Stimmung, Stressreduktion, Schlafqualität u. ä., wenn sie auf pflanzliche Stoffe bezogen sind.
- Verzicht auf jegliche gesundheitsbezogenen Aussagen zu Botanicals
- Solange kein positiver Listeneintrag (Art. 13 oder 14 HCVO) vorliegt und keine Übergangsregelung greift, dürfen keine gesundheitsbezogenen Angaben verwendet werden – weder spezifische noch unspezifische.
- Keine Werbung mit Studien, Testimonials oder Wirkversprechen
- Auch Aussagen wie „in Studien bewiesen“ oder „Probanden berichteten“ gelten als gesundheitsbezogene Angaben und unterliegen denselben Anforderungen.
- Antragslage prüfen
- Falls ein Antrag nach Art. 13 Abs. 1 oder 5 HCVO gestellt wurde, ist zu prüfen, ob eine Übergangsregelung genutzt werden kann.
- Ist dies nicht der Fall: Verwendung der Aussage einstellen oder über eine Neuformulierung des Produktes nachdenken!
- Wettbewerbsrechtliche Risiken bedenken
- Abmahnungen durch Wettbewerbsverbände oder Mitbewerber drohen bei Verstoß gegen die Verordnung.
- Auch Schadensersatzforderungen oder Bußgelder nach nationalem Lauterkeitsrecht (z. B. § 3a UWG in Deutschland) sind möglich.
Konsequenzen bei Nichtbeachtung
- Werbung mit unzulässigen Angaben ist ein klarer Rechtsverstoß gegen die HCVO und kann zivil- und verwaltungsrechtlich geahndet werden.
- Abmahnungen, einstweilige Verfügungen und Gerichtsverfahren können hohe Kosten verursachen.
- Auch wenn die EU-Kommission mit der Bewertung der Angaben im Rückstand ist, rechtfertigt dies keine eigenmächtige Nutzung nicht zugelassener Aussagen.
Fazit
Das Urteil schafft klare Rechtsverhältnisse: Wer für pflanzliche Stoffe gesundheitsbezogene Werbung machen will, sollte entweder auf einen positiven Listeneintrag warten, die Produkte gezielt anpassen (z.B. durch Zufügung von spezifischen Inhaltsstoffen) oder auf die gesundheitsbezogene Werbung besser verzichten, sofern nicht ausnahmsweise die Übergangsvorschrift greift. Auf jeden Fall gilt: Lassen Sie Werbemaßnahmen mit Gesundheitsbezug vorab durch einen Anwalt und Experten von AVANTCORE Rechtsanwälte prüfen!