Die Entscheidung des OVG Lüneburg betrifft Trägerverfahren, die an der Konfliktlinie zwischen Energiewende und Naturschutzrecht eine maßgebliche Rolle spielen.

Großprojekte wie Offshore-Windparks, Gasförderplattformen oder Unterseekabel stehen regelmäßig im Spannungsfeld zwischen Energiewende und strengem Naturschutzrecht. Die zentrale juristische Herausforderung ist dabei, wie Eingriffe in Natur und Landschaft rechtlich genehmigt und kompensiert werden können, ohne gegen die Vorgaben des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) oder der FFH-Richtlinie (92/43/EWG) zu verstoßen.

Bei solchen Vorhaben sind oft mehrere Genehmigungsverfahren parallel erforderlich – zum Beispiel wasserrechtliche Erlaubnisse, naturschutzrechtliche Befreiungen, Planfeststellungsbeschlüsse. In der Praxis stellten sich daher seit Jahren folgende Fragen:

  • Welches Verfahren ist das maßgebliche „Trägerverfahren“, in dem alle naturschutzrechtlichen Prüfungen gebündelt werden müssen?
  • Ist eine zusätzliche Anzeige nach § 34 Abs. 6 BNatSchG oder ein separates Befreiungsverfahren notwendig, um FFH-Schutzbelange zu wahren?
  • Wie konkret müssen Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen bereits im Genehmigungszeitpunkt festgelegt sein, um dem Gebot der Konfliktbewältigung zu genügen?

Mit seinem Beschluss vom 01.08.2025 (Az.: 7 ME 34/25) gibt das OVG Lüneburg nun eine wegweisende Antwort und stärkt die Genehmigungspraxis bei Infrastruktur- und Offshore-Projekten.

Trägerverfahren betreffen nicht nur Offshore-Projekte

Obwohl der Fall ein Seekabel zwischen Offshore-Windpark und Gasförderplattform betrifft, ist die Entscheidung für viele Projekte in Küsten- und Binnenregionen von Bedeutung.

  • Trägerverfahren Seekabel Offshore FFH-VerträglichkeitsprüfungEnergieinfrastruktur: Windparks an Land, Hochspannungsleitungen, LNG-Terminals
  • Industrieanlagen: Raffinerien, chemische Werke in Wasserschutzgebieten
  • Verkehrsprojekte: Brücken- und Straßenbau mit Eingriffen in FFH-Gebiete
  • Pipeline- und Kabelverlegung: Untersee- und Landtrassen

Das OVG macht klar: Fachrechtliche Hauptgenehmigungen (zum Beispiel wasserrechtlich, bergrechtlich, immissionsschutzrechtlich) sind regelmäßig das alleinige Trägerverfahren für naturschutzrechtliche Prüfungen. Das schafft Planungssicherheit und vermeidet parallele Verwaltungsverfahren.

Seekabel als Stromversorgung von Offshore-Windpark zu einer Gasförderplattform

Trägerverfahren FFH-Verträglichkeitsprüfung Offshore WindparkDie Betreiberin eines Offshore-Windparks plante, über ein 8 km langes Seekabel eine niederländische Gasförderplattform mit Strom zu versorgen. Die niedersächsische Behörde erteilte 2022 eine wasserrechtliche Genehmigung. Umweltverbände sahen darin eine Gefahr für den geschützten FFH-Lebensraumtyp „Riffe“ (1170) und erhoben Klage.

Das Verwaltungsgericht Oldenburg ordnete zunächst die aufschiebende Wirkung an, änderte diese jedoch und ließ die sofortige Vollziehung zu. Ein Umweltverband legte hiergegen Beschwerde zum OVG Lüneburg ein. Streitpunkte waren unter anderem:

  • Durchführung der FFH-Verträglichkeitsprüfung (§ 34 BNatSchG)
  • Anforderungen an Kompensationsmaßnahmen (§ 15 BNatSchG)
  • Frage, ob die wasserrechtliche Genehmigung allein genügt oder zusätzliche naturschutzrechtliche Verfahren erforderlich sind

Die rechtlichen Erwägungen des OVG

  1. Trägerverfahren nach § 17 BNatSchG – fachrechtliche Genehmigung genügt
  • Bei mehreren erforderlichen Zulassungen ist nicht automatisch die naturschutzrechtliche Befreiung das maßgebliche Verfahren.
  • Entscheidend ist, welches Verfahren das Vorhaben in seiner Gesamtheit am weitreichendsten legalisiert.
  • Im Streitfall war dies eindeutig die wasserrechtliche Genehmigung, da sie die Kabelverlegung insgesamt betraf – naturschutzrechtliche Befreiungen betrafen nur Teilabschnitte.
  • Damit entfällt ein eigenständiges Anzeigeverfahren nach § 34 Abs. 6 BNatSchG.
  1. FFH-Verträglichkeitsprüfung im wasserrechtlichen Verfahren ausreichend
  • Das wasserrechtliche Verfahren ist kein „blinder Fleck“ für Naturschutzbelange – auch ohne ausdrückliche naturschutzrechtliche Hauptprüfung werden ökologische Auswirkungen geprüft.
  • Eine parallele Anzeige nach § 34 Abs. 6 BNatSchG würde unnötige Doppelprüfungen verursachen und stünde im Widerspruch zum europarechtlichen Konzentrationsgrundsatz.
  1. Kompensationsmaßnahmen – Suchraum statt konkreter Fläche zulässig
  • Das Gericht billigte die Praxis, nur einen Suchraum für Ersatzmaßnahmen festzulegen und die konkrete Fläche in einem nachgelagerten Abstimmungsverfahren zu bestimmen.
  • Voraussetzung ist eine hohe naturschutzfachliche Sicherheit, dass die Maßnahme im Suchraum umgesetzt werden kann.
  • Diese Vorgehensweise entspricht auch den Empfehlungen des Bundesamts für Naturschutz.
  1. Keine Rechtsverstöße bei Eingriffsregelung und FFH-Schutz
  • Die naturschutzfachliche Bewertung (Störfaktoren, Time-Lag-Faktor, Monitoring) war nicht zu beanstanden.
  • Selbst wenn man den Bereich als potenzielles FFH-Gebiet einstufte, ergäben sich keine erheblichen Beeinträchtigungen.
  1. Vorläufiger Rechtsschutz nach UmwRG – keine Abwägung erforderlich
  • Nach § 2 Abs. 4 UmwRG ist eine Interessenabwägung nur geboten, wenn die Erfolgsaussichten offen sind.
  • Da die wasserrechtliche Genehmigung voraussichtlich rechtmäßig ist, überwiegt das Vollziehungsinteresse.

Praxishinweise und Handlungsempfehlungen zum Umgang mit Trägerverfahren

Für Vorhabenträger, Projektentwickler und Genehmigungsbehörden ergeben sich aus der Entscheidung folgende Leitlinien:

Genehmigungsstrategie optimieren: Bereits bei der Projektplanung sollte geprüft werden, welche fachrechtliche Genehmigung als Trägerverfahren geeignet ist. So lassen sich zusätzliche naturschutzrechtliche Verfahren vermeiden.

Frühzeitige ökologische Fachgutachten: Eine umfassende FFH-Verträglichkeitsprüfung und Eingriffsfolgenbewertung müssen vollständig in die Hauptgenehmigung integriert werden, um spätere Klagerisiken zu minimieren.

Kompensation flexibel gestalten: Die Festlegung eines Suchraums für Ersatzmaßnahmen wird von der Rechtsprechung gebilligt, sofern deren Umsetzbarkeit fachlich gesichert ist.

Beschleunigung von Verfahren: Durch die Bündelung naturschutzrechtlicher Prüfungen in der Hauptgenehmigung können Projekte deutlich schneller realisiert werden – ein entscheidender Faktor für die Energiewende.

Fazit:
Das OVG Lüneburg stärkt mit dieser Entscheidung die Genehmigungspraxis für Infrastruktur- und Offshore-Projekte. Unternehmen profitieren von größerer Planungssicherheit, wenn sie frühzeitig eine Trägergenehmigung mit integrierter FFH-Prüfung anstreben und naturschutzrechtliche Anforderungen vollständig einbinden.

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