In öffentlichen Vergabeverfahren soll Chancengleichheit herrschen. Doch was passiert, wenn ein Bieter durch frühere Projektbeteiligungen über exklusive Informationen verfügt, die seine Wettbewerbsposition durch einen Wissensvorsprung im Vergabeverfahren unzulässig verbessern?
Genau um diese zentrale Frage drehte sich der aktuelle Beschluss des Oberlandesgerichts (OLG) Saarbrücken (Beschluss vom 07.05.2025 – 1 Verg 1/25). Das Gericht musste klären, ob der Zuschlag auf ein Angebot rechtmäßig ist, wenn der betreffende Bieter durch projektbezogene Vorkenntnisse gegenüber seinen Mitbewerbern durch einen Wissensvorsprung im Vergabeverfahren einen erheblichen Vorteil genießt – und der Auftraggeber versäumt, diesen auszugleichen.
Worum ging es? Forschungsprojekt als Türöffner im Vergabeverfahren
Gegenstand des Verfahrens war ein Auftrag zur Erstellung von Hochwassergefahrenkarten im Saarland. Eine Bieterin (die spätere Beigeladene) erhielt den Zuschlag, obwohl sie über erhebliche Vorarbeiten aus einem früheren Forschungsprojekt verfügte. Dort hatte sie – im Auftrag des saarländischen Umweltministeriums – ein 2D-Starkregenmodell für das gesamte Bundesland erstellt, einschließlich aufbereiteter Daten, die sich direkt für den aktuellen Auftrag nutzen ließen.
Die Beigeladene bot deshalb nicht nur einen ungewöhnlich hohen Preisnachlass (30 %), sondern verwies explizit auf Synergieeffekte aus ihrer Vorarbeit. Die Konkurrenz bemängelte daraufhin, dass ihr diese Daten nicht zur Verfügung standen – obwohl der öffentliche Auftraggeber einen Herausgabeanspruch gegenüber dem Projektpartner gehabt hätte.
Rechtliche Würdigung: Wissensvorsprung im Vergabeverfahren als vergaberechtswidriger Vorteil
Das OLG bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz (Vergabekammer Saarland) zum Wissensvorsprung im Vergabeverfahren in zentralen Punkten:
- Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 97 Abs. 2 GWB): Der Wettbewerb war verzerrt, weil nur die Beigeladene Zugriff auf aufbereitete Daten hatte, obwohl die Antragsgegnerin (Gebietskörperschaft) diese Daten anderen Bietern hätte zugänglich machen können.
- Nicht jede Vorarbeit ist wettbewerbswidrig: Wissensvorsprünge aus früheren Projekten sind nicht per se unzulässig. Rechtswidrig wird es jedoch, wenn diese aus öffentlichen Aufträgen stammen und der Auftraggeber sich weigert, diese Informationen gleichmäßig bereitzustellen.
- Keine „Vorbefasstheit“ i.S.v. § 7 VgV allein durch Softwarevorgabe: Die Nutzung einer spezifischen, vom bevorzugten Bieter entwickelten Software („HydroAS 2D“) begründet keine automatische Unzulässigkeit, sofern sachliche Gründe für die Vorgabe vorliegen.
- Verpflichtung des Auftraggebers zum Ausgleich: Sobald ein exklusiver Wissensvorsprung auf den öffentlichen Auftraggeber zurückzuführen ist – etwa über ein Ministerium – besteht die Pflicht zum Ausgleich. Diese wurde im konkreten Fall verletzt.
Fazit und Empfehlungen: So schützen Sie Ihre Chancen
Für öffentliche Auftraggeber:
- Vermeiden Sie unzulässige Wettbewerbsvorteile. Wenn Daten aus früheren Projekten vorliegen, müssen sie allen Bietern zugänglich gemacht werden.
- Dokumentieren Sie interne Zuständigkeiten. Auch wenn verschiedene Behörden eingebunden sind, zählt im vergaberechtlichen Sinne der Rechtsträger – nicht die einzelne Dienststelle.
Für Bieter:
- Fragen Sie frühzeitig relevante Daten an. Wird Ihnen der Zugang verwehrt, ist eine Rüge zu prüfen.
- Achten Sie auf Hinweise zu Softwarevorgaben. Produktneutralität ist grundsätzlich geboten – Ausnahmen müssen sachlich begründet sein.
- Sichern Sie Ihre Rechte im Nachprüfungsverfahren. Rügefristen nach § 160 Abs. 3 GWB sind eng. Achten Sie auf Form, Frist und Inhalt Ihrer Rüge – idealerweise anwaltlich durch einen spezialisierten Anwalt für Vergaberecht von AVANTCORE Lawyers begleitet.
AVANTCORE Rechtsanwälte – Ihre Ansprechpartner im Vergaberecht
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