Das lebensmittelrechtliche Warnsystem – Verbrauchertransparenz versus Unternehmenspranger
The
lebensmittelrechtliche Warnsystem in Deutschland basiert maßgeblich auf
§ 40 LFGB (Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch). Nach Absatz 1a dieser Norm sind die Behörden verpflichtet, Verbraucher über bestimmte Verstöße gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften zu informieren, wenn:
- gegen Hygienevorschriften in erheblichem Maße verstoßen wurde,
- Täuschungshandlungen vorliegen oder
- die Abweichung von den Vorschriften geeignet ist, die Interessen der Verbraucher spürbar zu beeinträchtigen.
Diese Vorschrift verfolgt ein hohes Ziel:
Verbraucherschutz durch Transparenz. Bürgerinnen und Bürger sollen vor dem Erwerb von Produkten oder Dienstleistungen unmittelbar informiert werden, wenn ein Unternehmen gegen zentrale lebensmittelrechtliche Vorgaben verstoßen hat.
Doch genau hier liegt der Konflikt: Die Veröffentlichung im Internet wirkt wie ein
staatlicher Pranger. Anders als bei Bußgeldern oder Untersagungsverfügungen entfaltet die Information sofortige Breitenwirkung, ist über Suchmaschinen langfristig auffindbar und kann selbst dann das Unternehmensimage ruinieren, wenn die Mängel längst behoben sind. Für die betroffenen Betriebe – vom kleinen Gastronomiebetrieb über Caterer bis hin zu Lebensmittelkonzernen – stellt dies einen
existenzbedrohenden Eingriff in die Berufsfreiheit (Art. 12 GG) dar.
Der Fall: Catering-Unternehmen gegen drohende Veröffentlichung
Im vorliegenden Verfahren ging es um ein Unternehmen aus der
Catering- und Eventbranche.
- Am 14. Februar 2023 führte das Ordnungsamt der Stadt (…) eine Kontrolle durch. Dabei wurden Verstöße gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften festgestellt.
- Die Behörde kündigte an, die Ergebnisse öffentlich bekannt zu machen. Grundlage: § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 3 LFGB.
- Das Unternehmen beantragte beim Verwaltungsgericht Frankfurt a.M. einstweiligen Rechtsschutz gegen die Veröffentlichung. Ergebnis: Ablehnung (Beschluss vom 27. April 2023, 5 L 1045/23.F).
- Auch die Beschwerde vor dem VGH Hessen blieb erfolglos (Beschluss vom 19. Juli 2024, 8 B 676/23).
- Schließlich zog das Unternehmen nach Karlsruhe: Verfassungsbeschwerde mit Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Die Entscheidung des BVerfG: Veröffentlichung vorerst gestoppt
The
Bundesverfassungsgericht (
Beschluss vom 28. Juli 2025 – 1 BvR 1949/24, veröffentlicht am 19.08.2025) stoppte die Veröffentlichung vorläufig. Die Stadt darf bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache, längstens für sechs Monate, keine Informationen zu den Verstößen veröffentlichen.
Das Gericht prüfte nicht inhaltlich, ob die Veröffentlichung rechtmäßig ist, sondern ob eine
einstweilige Anordnung geboten ist. Maßgeblich war eine
Folgenabwägung:
- Welche Nachteile drohen, wenn die Anordnung nicht ergeht und die Verfassungsbeschwerde später Erfolg hätte?
- Welche Nachteile entstehen, wenn die Anordnung ergeht, die Verfassungsbeschwerde aber erfolglos bleibt?
Erwägungen des Gerichts
1. Zulässigkeit
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- Die Beschwerde ist weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet.
- Der Grundsatz der Subsidiarität wurde eingehalten: Alle fachgerichtlichen Möglichkeiten wurden ausgeschöpft.
2. Gefahr irreversibler Nachteile
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- Eine Veröffentlichung führt zu nicht mehr rückholbarem Reputationsverlust.
- Image- und Umsatzeinbußen können bis zur Existenzvernichtung reichen.
- Auch ein Hinweis der Behörde, dass Mängel inzwischen beseitigt wurden, kann den Schaden nicht verhindern – Verbraucher nehmen die Einträge meist nicht differenziert wahr.
3. Gewichtung der Verbraucherinteressen
-
- Das Informationsinteresse der Verbraucher ist legitim.
- Doch eineinhalb Jahre nach dem Kontrolltermin haben die Informationen geringe Aktualität und Relevanz für den Gesundheitsschutz.
- Ein weiteres Abwarten wiegt daher weniger schwer als die irreparablen Nachteile für das Unternehmen.
Ergebnis
Die Nachteile auf Seiten des Unternehmens überwiegen. Deshalb untersagt das BVerfG die Veröffentlichung
bis zur Entscheidung in der Hauptsache.
Einordnung: § 40 LFGB bleibt verfassungsrechtlich umstritten
Der Beschluss reiht sich in eine
lange Reihe verfassungsrechtlicher Auseinandersetzungen um § 40 LFGB ein. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits mehrfach betont, dass Veröffentlichungen nach dieser Vorschrift tief in die
Berufsfreiheit eingreifen können und nur unter strikter Wahrung der
Verhältnismäßigkeit zulässig sind.
Die Entscheidung verdeutlicht, dass Behörden beim Umgang mit § 40 LFGB besondere Sorgfalt walten lassen müssen:
- Aktualität der Information ist entscheidend: Alte Verstöße verlieren ihren Warnwert.
- Transparenz bei der Darstellung ist geboten: Verbraucher müssen klar erkennen, ob Mängel behoben sind.
- Abwägung mit Grundrechten ist Pflicht: Die Prangerwirkung darf nicht außer Acht gelassen werden.
Empfehlung für Unternehmen im Lebensmittelrecht
Unternehmen, die mit einer drohenden Veröffentlichung nach § 40 LFGB konfrontiert sind, sollten:
1. Sofort spezialisierten Rechtsschutz einholen
-
- Eilrechtsschutz beim Verwaltungsgericht ist zwingend, auch wenn die Erfolgsaussichten oft gering erscheinen.
- Parallel sollte die Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde geprüft werden. Diese setzt allerdings die vorherige erfolglose Beschreitung des fachgerichtlichen Rechtsweges voraus!
2. Proaktive Compliance-Strategien entwickeln
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- Dokumentation von Hygienekontrollen, interne Nachprüfungen und Mitarbeiterschulungen sind essenziell.
- Eine transparente Kommunikation mit Behörden kann helfen, Veröffentlichungsvorhaben frühzeitig zu beeinflussen.
3. Risikomanagement für Reputationsschutz
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- Bereits die Androhung einer Veröffentlichung sollte in der Unternehmenskommunikation strategisch vorbereitet werden.
- Juristische und PR-Beratung sollten Hand in Hand gehen, um den Schaden zu minimieren.
Fazit: Karlsruhe stärkt Grundrechtsschutz – Unternehmen sollten vorbereitet sein
Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zeigt deutlich:
Veröffentlichungen nach § 40 LFGB sind kein Selbstläufer für Behörden. Wo der Verbraucherschutz an Aktualität verliert, gewinnen die Grundrechte der Unternehmen an Gewicht.
Für Unternehmen im Lebensmittelrecht ist das eine wichtige Bestätigung: Sie sind dem
Warnsystem nach § 40 LFGB nicht schutzlos ausgeliefert. Konsequente Rechtsverteidigung durch die
Spezialisten von AVANTCORE RECHTSANWÄLTE in Stuttgart kann Veröffentlichungen zumindest verzögern oder sogar verhindern.