Bei der Verjährung staatlicher Regressansprüche spielt der Zeitpunkt, zu dem die zuständige Stelle einer Behörde informiert wird, eine zentrale Rolle.
Bedeutung der Verjährung im Schadensersatzrecht
The Verjährung ist ein zentrales Institut des deutschen Zivilrechts. Sie sorgt für Rechtssicherheit, indem sie nach Ablauf bestimmter Fristen die Durchsetzung von Ansprüchen ausschließt. Wer also einen Anspruch hat, muss diesen rechtzeitig geltend machen. Für Schadensersatzansprüche gilt grundsätzlich die dreijährige Regelverjährung nach § 195 BGB.
Der Beginn dieser Frist ist in § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB geregelt. Danach kommt es darauf an, ob der Gläubiger
- Kenntnis von Schaden und Schädiger hat oder
- diese Kenntnis infolge grob fahrlässiger Unkenntnis fehlt.
Damit wird eine Balance geschaffen: Einerseits sollen Schuldner nicht unbegrenzt in Unsicherheit leben, andererseits darf ein Anspruch nicht verjähren, bevor der Geschädigte überhaupt von seiner Möglichkeit zur Durchsetzung erfährt. In der Praxis stellt sich oft die Frage, wann genau die erforderliche Kenntnis vorliegt – insbesondere bei komplexen Behördenstrukturen.
Worum ging es? Unfall eines Polizeibeamten und späte Geltendmachung des Schadens
Im zugrundeliegenden Fall (BGH, Urteil vom 8. Juli 2025 – VI ZR 303/23), dessen Entscheidungsgründe am 02.09.2025 veröffentlicht wurden, ging es um den Freistaat Bayern. Einer seiner Polizeibeamten erlitt im Jahr 2011 bei einem privaten Verkehrsunfall erhebliche Verletzungen. Die Haftung der Unfallgegner und deren Haftpflichtversicherung war dem Grunde nach unstreitig.
Der Freistaat machte jedoch erst im Jahr 2017 Ansprüche auf Erstattung von Beihilfekosten, Kosten der Wiedereingliederung sowie Zahlungen wegen begrenzter Dienstfähigkeit geltend. Die Klage wurde 2018 erhoben. Die Gegenseite erhob die Einrede der Verjährung.
Während das Landgericht Traunstein den Ansprüchen stattgab, verneinte das OLG Munich die Durchsetzbarkeit wegen angeblich bereits eingetretener Verjährung. Der BGH musste also klären, wann bei staatlichen Regressansprüchen die Verjährung beginnt und wessen Kenntnis maßgeblich ist.
Rechtliche Kernfrage: Wessen Wissen zählt innerhalb einer Behörde?
Das Berufungsgericht hatte angenommen, dass die Regressabteilung zu spät informiert wurde und ihre Unkenntnis auf grober Fahrlässigkeit beruhte. Es verwies auf bestehende organisatorische Defizite und auf die Pflicht verschiedener Stellen (Beihilfestelle, Dienststelle, Beamter selbst), die Regressabteilung zu informieren.
Der BGH stellte jedoch klar:
- Entscheidend ist allein die Kenntnis der Regressabteilung, also jener Behörde oder Abteilung, die tatsächlich für die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen zuständig ist.
- Das Wissen anderer Abteilungen – etwa der Leistungs- oder Beihilfestellen – wird nicht zugerechnet. Gleiches gilt erst recht für andere Behörden.
- Damit beginnt die Verjährungsfrist erst dann zu laufen, wenn die zuständige Regressstelle selbst über die anspruchsbegründenden Umstände informiert ist oder grob fahrlässig nicht informiert wurde.
Anforderungen an grobe Fahrlässigkeit
Besonders bedeutsam ist die Klarstellung zur grob fahrlässigen Unkenntnis. Nach ständiger Rechtsprechung liegt diese nur vor, wenn der Gläubiger naheliegende Überlegungen in ungewöhnlich hohem Maße außer Acht lässt. Es muss sich um einen schweren Obliegenheitsverstoß handeln.
Für Behörden heißt das:
- Versäumnisse anderer Abteilungen oder die bloße Unvollkommenheit von Informationswegen reichen nicht aus.
- Auch organisatorische Mängel führen nicht automatisch zur Verjährung, solange kein schwerwiegender Sorgfaltspflichtverstoß der Regressabteilung selbst vorliegt.
- Ein einmaliges Versagen – wie etwa die unterlassene Meldung durch eine Dienststelle – ist nicht gleichzusetzen mit grober Fahrlässigkeit der Regressabteilung.
Der BGH hob das Urteil des OLG München deshalb auf und verwies die Sache zurück. Das Berufungsgericht muss nun erneut prüfen, ob im konkreten Fall tatsächlich grobe Fahrlässigkeit anzunehmen ist.
Consequences for practice
Das Urteil ist von erheblicher Bedeutung für staatliche Regressansprüche, etwa nach Beamtenunfällen oder bei übergegangenen Ansprüchen von Sozialleistungsträgern. Es stärkt die Handlungsfähigkeit öffentlicher Körperschaften:
- Maßgeblich ist nicht jede Information irgendwo in der Verwaltung, sondern die Kenntnis der konkret zuständigen Stelle.
- Versicherungen und Schädiger können sich daher nicht vorschnell auf Verjährung berufen, wenn nur eine andere Abteilung informiert war.
- Behörden sollten dennoch ihre internen Melde- und Informationswege klar regeln, um Verzögerungen und Streitigkeiten zu vermeiden.
Auch für Privatpersonen und Unternehmen gilt: Die Frage, wann die Verjährungsfrist tatsächlich zu laufen beginnt, ist rechtlich komplex. Wer Ansprüche auf Schadensersatz sichern will, sollte sich frühzeitig rechtlich beraten lassen.
Empfehlung für Anspruchsteller
Das BGH-Urteil zeigt, dass die Abgrenzung zwischen Kenntnis, Unkenntnis and grob fahrlässiger Unkenntnis entscheidend für die Durchsetzbarkeit von Schadensersatzforderungen ist.
- Öffentliche Körperschaften sollten ihre Regressabteilungen organisatorisch klar positionieren und auf eine lückenlose Kommunikation hinwirken.
- Schädiger und Versicherungen sollten genau prüfen, ob die Verjährungseinrede tatsächlich durchgreift oder ob die Frist mangels Kenntnis der richtigen Stelle noch nicht zu laufen begonnen hat.
- Geschädigte und Privatpersonen sind gut beraten, Ansprüche nicht auf die lange Bank zu schieben. Je früher rechtliche Schritte eingeleitet werden, desto geringer ist das Risiko eines Verlustes des Anspruchs durch Verjährung.
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