Der VGH München hat entschieden: Eine Nachbarklage gegen die Tiefgarageneinfahrt einer neuen Wohnanlage im Innenhof blieb erfolglos – Grenzbebauung ohne Abstandsflächen ist zulässig.
Die Problemlage
In deutschen Großstädten gehört die Nachverdichtung von Innenhöfen längst zu den zentralen Themen moderner Stadtentwicklung. Wo früher offene Flächen für Licht, Luft und Nachbarschaft sorgten, entstehen zunehmend Wohnanlagen mit Tiefgaragen und kleinteiligen Baukörpern. Solche Projekte führen zwangsläufig zu Konflikten mit den angrenzenden Nachbarn, die Beeinträchtigungen ihres Eigentums, insbesondere durch mangelnden Lichteinfall, Einsichtsmöglichkeiten oder die „erdrückende Wirkung“ neuer Bauwerke befürchten. Rechtlich spielt dabei vor allem das Abstandsflächenrecht der Landesbauordnungen, z.B. der Bayerischen Bauordnung (BayBO) in Verbindung mit den Vorgaben des Baugesetzbuches (BauGB) eine tragende Rolle. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH München) hatte nun mit Beschluss vom 15. August 2025 (Az. 9 ZB 23.2289) Gelegenheit, die Grundsätze für Nachverdichtungsprojekte im unbeplanten Innenbereich nach § 34 BauGB klarzustellen. Der Fall betraf eine großvolumige Wohnanlage mit 38 Wohneinheiten und Tiefgarage, die im Innenhof einer geschlossenen Blockrandbebauung entstehen sollte.  Ein Nachbar, dessen Gebäude selbst grenzständig steht, klagte gegen die Genehmigung. Nachdem bereits das Verwaltungsgericht Ansbach die Klage abgewiesen hatte, begehrte der Nachbar die Zulassung der Berufung. Der VGH München lehnte dies jedoch ab – die Klage blieb damit endgültig erfolglos.Nachverdichtung und Nachbarrecht - Privilegierung der Tiefgarageneinfahrt
Worum ging es genau?
Die Bauherrin plante in einem dicht bebauten Innenhof einer typischen Blockrandbebauung mit vier bis fünf Geschossen eine Wohnanlage aus vier Häusern mit insgesamt 38 Wohnungen und einer Tiefgarage. Das Vorhaben war nicht völlig neu, sondern Teil einer genehmigten Planung, die durch eine Tektur, also einen Nachtrag zum ursprünglichen Antrag geändert worden war. Der klagende Nachbar sah sich erheblich beeinträchtigt. Er machte insbesondere geltend, dass die erforderlichen Abstandsflächen nicht eingehalten würden, dass er durch die neue Bebauung „eingemauert“ werde, dass unzumutbare Einsichtmöglichkeiten in seine Wohnung entstünden und dass einige seiner Fenster – die bisher Licht und Luft gewährleisteten – faktisch zugemauert würden. Das Verwaltungsgericht Ansbach wies diese Einwände zurück. Gegen dieses Urteil beantragte der Nachbar die Zulassung der Berufung beim VGH München. Sein Ziel war es, eine zweite Instanz mit der Sache zu befassen, um doch noch eine Aufhebung der Genehmigung zu erreichen. Der Verwaltungsgerichtshof ließ die Berufung jedoch nicht zu, da keine ernstlichen Zweifel an der Entscheidung des Verwaltungsgerichts erkennbar seien und auch keine grundsätzliche Bedeutung vorliege.
Die rechtlichen Erwägungen des VGH München
Abstandsflächen und Grenzbebauung
Zentral stand die Frage im Raum, ob die geplante Grenzbebauung im Innenhof abstandsrechtlich zulässig ist. Nach Art. 6 BayBO gilt grundsätzlich das Gebot, Abstandsflächen vor Außenwänden freizuhalten, um Belichtung, Belüftung und Brandschutz zu gewährleisten. Allerdings sieht die BayBO Ausnahmen vor, wenn sich ein Bauvorhaben in eine Umgebung einfügt, die durch grenzständige Bebauung geprägt ist. Der VGH stellte fest, dass die nähere Umgebung sowohl offene als auch geschlossene Bauweisen aufweist. Damit handelt es sich um ein heterogenes Umfeld, in dem planungsrechtlich ein „Wahlrecht“ besteht: Bauherren dürfen sich entweder für eine offene oder für eine geschlossene Bauweise entscheiden. Wählen sie die geschlossene Bauweise, entfällt die Pflicht zur Einhaltung von Abstandsflächen entlang der Grenze. Da der streitgegenständliche Innenhof bereits weitgehend von Grenzbebauung geprägt war – auch das Gebäude des Klägers steht selbst auf zwei Grundstücksgrenzen – war es der Bauherrin erlaubt, ihr Vorhaben grenzständig zu errichten. Ein Verstoß gegen nachbarschützende Abstandsflächenrechte lag somit nicht vor. Innenhof mit neuer Wohnanlage und Tiefgarageneinfahrt – Symbolbild zur Entscheidung des VGH München zur Nachverdichtung  
Privilegierung der Tiefgarageneinfahrt
Auch die überdachte Tiefgarageneinfahrt wurde von der Klage erfasst. Hier stellt Art. 6 Abs. 7 BayBO jedoch eine Privilegierung bereit: Bestimmte kleine Bauwerke, darunter auch Zufahrten zu Garagen, dürfen in Abstandsflächen errichtet werden, wenn sie bestimmte Höchstmaße nicht überschreiten. Das Projekt hielt diese Vorgaben – Wandhöhe von höchstens drei Metern und bestimmte Längenbegrenzungen – ein. Eine Kumulation mit anderen Vorschriften, die eine Unzulässigkeit begründen könnte, sah der VGH nicht.
Rücksichtnahmegebot
Neben den Abstandsflächen berief sich der Kläger auf das allgemeine Rücksichtnahmegebot. Er machte geltend, die Neubauten führten zu einer unzumutbaren Verschattung und beeinträchtigten die Privatsphäre durch Einsichtmöglichkeiten. Zudem würden seine Fenster an der Grundstücksgrenze zugemauert. Der VGH München wies auch diese Argumente zurück. Die „Einforderung von Rücksicht“ hat ihre Grenzen, wenn der Betroffene selbst auf die Grenze gebaut hat. Der Kläger könne sich daher nicht darauf berufen, dass ihm durch das neue Vorhaben Licht genommen werde. Darüber hinaus waren die fraglichen Fenster bereits mit dem Vermerk „Öffnungen auf Widerruf“ versehen. Damit bestand von vornherein kein dauerhafter Bestandsschutz. Der Kläger konnte also nicht darauf vertrauen, dass diese Fenster auf Dauer freie Sicht oder Belichtung sichern. Auch die angeblich „erdrückende Wirkung“ verneinte das Gericht. Zwar überragten Teile der neuen Gebäude den Altbau, doch durch Staffelungen und Rücksprünge relativierte sich die Baukörperwirkung. Eine „Einmauerung“ lag nicht vor. Schließlich verneinte der VGH auch einen übermäßigen Eingriff in die Privatsphäre: In dicht bebauten Innenstädten seien Einsichtsmöglichkeiten bis zu einem gewissen Grad unvermeidbar und zumutbar; Eigenvorkehrungen wie Vorhänge oder Jalousien seien dem Nachbarn zumutbar.
Brandschutzfragen
Auch brandschutzrechtliche Einwände konnten dem Kläger nicht helfen. Diese waren im vereinfachten Genehmigungsverfahren nach der BayBO gar nicht Gegenstand der Prüfung. Der Brandschutznachweis wird in einem gesonderten Verfahren erbracht. Da keine konkreten Anhaltspunkte für Verstöße vorlagen, war insoweit auch kein Rücksichtnahmeverstoß erkennbar.

Bedeutung der Entscheidung für die Praxis

Das Urteil hat erhebliche Relevanz für Bauherren und Nachbarn gleichermaßen. Für Bauherren zeigt es, dass in heterogen bebauten Innenhoflagen eine Grenzbebauung oft zulässig ist, ohne dass Abstandsflächen eingehalten werden müssen. Gerade für Nachverdichtungsprojekte ist dies ein wichtiger Türöffner. Tiefgaragenzufahrten lassen sich durch die rechtliche Privilegierung z.B. in Art. 6 BayBO rechtssicher umsetzen. Für Nachbarn macht die Entscheidung deutlich, dass Abwehrrechte in engen innerstädtischen Situationen begrenzt sind. Wer selbst grenzständig gebaut hat, kann regelmäßig nicht verlangen, dass der Nachbar auf Abstand geht. Fenster in Grenzwänden mit „Öffnungen auf Widerruf“ bieten keinen dauerhaften Schutz. Und auch die Berufung auf das Rücksichtnahmegebot stößt dort an Grenzen, wo städtische Dichte und gegenseitige Zumutungen die Regel sind. Als spezialisierte Kanzlei für Verwaltungsrecht verfügt AVANTCORE Rechtsanwälte in Stuttgart über umfangreiche Erfahrung mit Nachverdichtungsprojekten und Nachbarstreitigkeiten. Wir wissen, worauf es bei der Beurteilung der Umgebungsbebauung nach § 34 BauGB ankommt, und wie Abstandsflächen- sowie Rücksichtnahmefragen strategisch vorbereitet werden müssen. Wir beraten Bauherren dabei, ihre Projekte frühzeitig so aufzustellen, dass sie genehmigungsfähig sind und gerichtsfest verteidigt werden können. Für Nachbarn prüfen wir realistisch, welche Erfolgsaussichten ein Vorgehen gegen ein Bauvorhaben tatsächlich hat, und entwickeln maßgeschneiderte Strategien – sei es die gerichtliche Auseinandersetzung oder eine außergerichtliche Lösung. Wenn Sie selbst vor einem Innenhofprojekt stehen oder sich durch ein Nachverdichtungsvorhaben beeinträchtigt fühlen, sollten Sie frühzeitig juristischen Rat einholen.