Richtungsweisender Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichtes (BayObLG) vom 05.08.2025 (Verg 2/25) zum Transparenzgebot im Vergaberecht 

Einordnung und Bedeutung der Entscheidung

Das Bayerische Oberste Landesgericht (BayObLG) hat mit Beschluss vom 05.08.2025 (Verg 2/25) eine richtungsweisende Entscheidung für das Vergaberecht getroffen. Im Zentrum steht das Transparenzgebot nach § 97 Abs. 1 GWB, das zu den tragenden Grundsätzen des Vergaberechts zählt und unionsrechtlich verankert ist.

Was verlangt das Transparenzgebot?

Öffentliche Auftraggeber müssen sicherstellen, dass alle Bedingungen des Vergabeverfahrens klar, eindeutig und widerspruchsfrei gefasst sind, sodass ein durchschnittlich fachkundiger Bieter bei üblicher Sorgfalt erkennen kann:

  • welche Leistungen zu erbringen sind,
  • welche Anforderungen zwingend erfüllt werden müssen und
  • welche Kriterien für den Zuschlag maßgeblich sind.

Das BayObLG macht deutlich: Werden diese Grundsätze nicht beachtet, droht nicht nur ein Angebotsausschluss einzelner Bieter – vielmehr ist unter Umständen das gesamte Verfahren zurückzuversetzen, also in einen Zustand zu versetzen, der vor dem beanstandeten Verstoß liegt. Dies hat erhebliche Auswirkungen auf die Praxis komplexer Ausschreibungen, insbesondere bei langfristigen, fördermittelgebundenen Projekten wie dem Aufbau regionaler Bikesharing-Systeme.

Worum ging es genau?

Transparenzgebot Vergaberecht BikesharingEin Zusammenschluss von über 30 Kommunen und einem regionalen ÖPNV-Betreiber schrieb 2024 im europaweiten Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb den Auftrag zur Errichtung und Betrieb eines einheitlichen Bikesharing-Systems aus.

Wesentliche Eckpunkte:

  • Vertragslaufzeit bis 2030, Verlängerungsoption bis 2032
  • Hochlaufphase mit über 6.700 Rädern (davon ein Teil in das Eigentum einzelner Auftraggeber übergehend)
  • technische Anforderungen an Fahrräder (Beleuchtung, QR-Codes, Schließsysteme, GNSS-Ortung)
  • Betreibervertrag mit Muss-Anforderungen, u. a. „gleiche Bauart“ für Eigentums- und Mieträder

Im Verfahren verblieben zwei Hauptbieter:

  • Antragstellerin: bisherige Betreiberin
  • Beigeladene: neues Unternehmen

Die Vergabestelle beabsichtigte, der Beigeladenen den Zuschlag zu erteilen. Die Antragstellerin rügte u. a.:

  • Nichtkonformität der angebotenen Fahrräder mit Muss-Anforderungen
  • fehlende Baugleichheit
  • Preisprüfung lückenhaft und Eignung zweifelhaft

Die Vergabekammer Südbayern ordnete lediglich eine weitere Angebotsaufklärung an. Dagegen legte die Antragstellerin sofortige Beschwerde ein und beantragte den Ausschluss der Beigeladenen.

Was sagt das BayObLG?

Das BayObLG hob den Kammerbeschluss teilweise auf und entschied, dass das Vergabeverfahren in den Stand vor Abgabe der finalen Angebote zurückzuversetzen ist. Die tragenden Erwägungen:

  1. Zulässigkeit der Beschwerde

Obwohl der Beschluss der Vergabekammer auf den ersten Blick dem Antrag entsprach, sah das BayObLG eine Beschwer: Die Antragstellerin verfolgte tatsächlich den Ausschluss der Beigeladenen, was nicht erreicht wurde.

  1. Transparenzgebot nach § 97 Abs. 1 GWB
  • Auftraggeber müssen alle Bedingungen und Modalitäten klar und eindeutig festlegen (unter Verweis auf EuGH, C-298/15).
  • Das Transparenzgebot dient zugleich der Gleichbehandlung der Bieter.
  • Bei objektiven Unklarheiten – hier zur Baugleichheit und Lieferfähigkeit der Räder – ist ein Angebotsausschluss unzulässig; vielmehr muss das Verfahren neu aufgesetzt werden.
  1. Fehlende Eindeutigkeit der Leistungsbeschreibung
  • Unterschiedliche Auslegungen der Vertragsunterlagen
  • widersprüchliche Kommunikation in Verhandlungsrunden
  • unklare Vorgaben für den Systemstart und die Eigentumsübertragung

Ergebnis: Bieter konnten nicht erkennen, welche Räder als konform gelten und wie „gleiche Bauart“ auszulegen ist.

  1. Eignung und Preisprüfung
  • Die Antragstellerin rügte die Eignung der Beigeladenen und eine fehlerhafte Preisprüfung.
  • Das Gericht bestätigte zwar einzelne Mängel, jedoch keine zwingenden Ausschlussgründe.
  • Primäre Vergaberechtsverletzung bleibt die Verletzung des Transparenzgebots.
  1. Konsequenz
  • Rückversetzung des Verfahrens vor Abgabe der finalen Angebote
  • Überarbeitung der Vergabeunterlagen
  • erneute Abgabe von Angeboten durch alle Bieter

Praxishinweis und Empfehlung

Die Entscheidung hat Signalwirkung für Auftraggeber und Bieter:

  • Auftraggeber:
    • Müssen Leistungsanforderungen vollständig, widerspruchsfrei und überprüfbar formulieren.
    • Bei Änderungen während der Verhandlungen ist auf einheitliche Kommunikation und Anpassung der Vergabeunterlagen zu achten.
    • Andernfalls droht eine gerichtliche Rückversetzung mit Projektverzögerungen und Fördermittelrisiken.
  • Bieter:
    • Sollten unklare Anforderungen frühzeitig rügen (§ 160 Abs. 3 GWB), um ihre Rechte zu wahren.
    • Auch wenn Ausschlussgründe nicht unmittelbar nachweisbar sind, reicht eine begründete Vermutung für eine zulässige Rüge aus.
    • Bei fehlender Transparenz und daraus resultierenden Verstößen gegen das Transparenzgebot kann das gesamte Verfahren gekippt werden – nicht nur einzelne Angebote.

Anwaltliche Unterstützung geboten

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Die Entscheidung zeigt: Fehlerhafte Transparenz kostet Zeit, Geld und Rechtssicherheit. Mit unserer Expertise vermeiden Sie Vergabefehler und sichern Ihre Chancen im Wettbewerb.

Mit dem Thema Transparenz im Vergaberecht haben wir uns dieses Jahr bereits beschäftigt:

Keine versteckten Risiken in öffentlichen Bauverträgen! – Transparenz als Schutzschild für Bieter im Vergabeverfahren