Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit Urteil vom 5. Juni 2025 (Rs. C‑82/24) die Grundprinzipien der Gleichbehandlung und Transparenz im Vergaberecht einmal mehr geschärft.
Hintergrund war ein Streit um Mängel und Garantiefristen im Rahmen eines EU-weiten Bauauftrags in Polen. Im Kern stand die Frage, ob öffentliche Auftraggeber durch bloße Verweise im Vertrag nationale Regeln analog anwenden dürfen, wenn diese zuvor nicht ausdrücklich Teil der Vergabeunterlagen waren.
Worum ging es? Garantie im Bauvertrag – Überraschungsklausel zulasten ausländischer Bieter
Die Stadt Warschau vergab 2008 einen Auftrag zur Modernisierung ihrer Kläranlage an ein internationales Unternehmenskonsortium. Teil des Vertrages war eine sogenannte „Garantiekarte“, die eine 36-monatige Garantie ab Abnahme vorsah. Nach Ablauf dieser Frist kam es zu erneuten Mängeln – die Auftraggeberin forderte eine Nachbesserung. Ihre Begründung: Nach polnischem Zivilrecht beginne die Garantie bei Ersatzlieferungen neu – diese Regel (Art. 581 Abs. 1 ZGB) sei analog anwendbar.
Das Konsortium weigerte sich mit Verweis darauf, dass diese Regel auf Kaufverträge zugeschnitten und im Vergabeverfahren nicht genannt worden sei. Zudem sei eine analoge Anwendung unklar und könne von ausländischen Bietern kaum vorhergesehen werden. Es folgte ein Rechtsstreit, der beim EuGH landete.
EuGH stärkt Transparenz und Gleichbehandlung
Der EuGH nahm die Gelegenheit zur Klarstellung:
- Art. 10 der RL 2004/17/EG (bzw. Art. 2 der RL 2004/18/EG) schreibt eine transparente und diskriminierungsfreie Auftragsvergabe vor. Diese Prinzipien gelten nicht nur im Vergabeverfahren, sondern auch bei der späteren Vertragserfüllung.
- Zentrale Anforderung an Auftraggeber: Alle relevanten Vertragsbedingungen – insbesondere solche mit erheblicher finanzieller Tragweite, wie Garantiefristen – müssen im Vergabeverfahren klar, genau und vorab genannt werden. Verweise auf nationale Vorschriften, die nur durch Auslegung oder analoge Anwendung Geltung erlangen, reichen nicht aus.
- Der EuGH betont, dass eine analoge Anwendung von Vorschriften, deren Geltung nicht eindeutig erkennbar ist, ausländische Bieter benachteiligt. Deren Kenntnis vom nationalen Recht könne nicht als gleichwertig zu der inländischer Wettbewerber vorausgesetzt werden.
- Damit verletzt ein solcher versteckter Rückgriff auf nationales Recht den Grundsatz der Vorhersehbarkeit – ein Kernelement des Transparenzgebots.
Daher: Klarheit schaffen – Risiken vermeiden
Für öffentliche Auftraggeber und Bieter bedeutet dieses Urteil:
- Vergabestellen müssen sicherstellen, dass alle wesentlichen Vertragsbedingungen – insbesondere Regelungen zu Nachbesserung, Haftung und Garantie – transparent in den Ausschreibungsunterlagen enthalten sind.
- Bieter, insbesondere aus dem Ausland, sollten bei unklaren Verweisen auf nationales Recht vor Angebotsabgabe rechtlich prüfen lassen, ob damit versteckte Risiken verbunden sein könnten. Im Zweifel bietet sich zunächst eine vergaberechtliche Rüge an.
- Vertragsklauseln, die sich auf unbestimmte oder nur analog anwendbare nationale Vorschriften stützen, sind vergaberechtlich unzulässig, wenn ihre Tragweite nicht klar und vorhersehbar ist.
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